Im Berufsleben unserer Museologen geht es nicht immer nur um zerbrechliches Porzellan oder kostbare Tapeten. Von Zeit zu Zeit haben sie es auch mit Nestlingen und Ästlingen zu tun. Wobei man Nestlinge, also Jungvögel, die in Nestern von ihren Eltern versorgt werden, vielleicht noch kennt. Aber Ästlinge? Das sind noch nicht flügge gewordene Vögel, die das Nest bereits verlassen haben, aber, auf Ästen sitzend, noch versorgt werden müssen. Und auch wenn das nicht zu unserem Spezialgebiet gehört, so kümmern wir uns doch gern um diese kleinen Schlossbewohner.
Fliegen lernen auf Schloss Rochlitz
Jedes Jahr im Juni lässt sich in und um Schloss Rochlitz ein besonderes Schauspiel beobachten. An den unmöglichsten Stellen tauchen ziemlich zerrupft aussehende schwarzgraue Vögel auf. Recht unbeholfen hüpfen sie mehr am Boden, als dass sie fliegen. Immer wieder machen sie ausgedehnte Ruhepausen. Es ist ein bemitleidenswerter Anblick, der den Helferinstinkt unserer Schlossbesucher anregt. Doch ohne Grund. Es sind junge Dohlen, die gerade erst ihr sicheres Nest verlassen haben, um Fliegen und alles andere zu lernen, was so eine Dohle eben lernen muss. Und sie sind keineswegs allein unterwegs. In ihrer Nähe wachen die Dohlen-Eltern, um im Notfall mit beherzten Manövern eingreifen zu können.
In vielen unserer Burgen und Schlösser gehören Dohlen seit Jahrhunderten zu den immer wiederkehrenden Bewohnern. Auch wenn sie im früheren Volksglauben als geschwätzig, diebisch und betrügerisch galten, freuen wir uns, wenn sie jedes Jahr im Frühling aus ihren Winterquartieren in die alten Gemäuer kommen, um ihre Brutsaison zu starten.
44 kleine Falken
Das ist der Spitzenwert! Im Juni 2020 sind 44 kleine Turmfalken im Schloss Colditz gezählt worden. Seit einigen Jahren sind 14 Nistkästen auf fünf Dachböden der alten Schlossbauten verteilt. Um das Beringen der Vögel kümmert sich Vogelwart Bernd Holfter. Er ist seit Jahrzehnten mit großer Fürsorge ehrenamtlicher Vogelwart im Muldentalkreis und hat insgesamt weit über 10.000 Vögel beringt.
Bernd Holfter kommt Ende Mai oder Anfang Juni, wenn die Kleinen am Übergang vom Dunen- zum Federkleid sind. Dann sind ihre Beine kräftig genug für den Ring, aber ihr Schnabel ist noch zu schwach zum schmerzhaften Zwicken in die menschliche Hand. Zur Unterstützung holt Bernd Holfter einen unserer Colditzer Kollegen dazu – wobei wir uns eigentlich fast darum streiten, mit zu den Jungvögeln zu dürfen.
Gemeinsam steigen wir hoch hinauf. Oben muss man seine Aufregung abstreifen, leise sprechen und sich langsam bewegen, wenn die Kästen geöffnet sind. Vogelwart Holfter greift alle Nestlinge mit einem Mal und steckt sie in einen Baumwollbeutel, wo sie sich erstaunlich ruhig verhalten. Dann werden sie einzeln entnommen und beringt.
Auf diese Weise können die Reisewege und Schicksale der Vögel später nachvollzogen werden. So wurde eines, der von ihm beringte Tier, im nordafrikanischen Libyen entdeckt – es ist der weiteste Lebendfund eines Colditzer Falken.
Ein Hauch von Federkleid
Noch eine zweite Spezies hat es sich im Schloss Colditz gemütlich gemacht: die Schleiereule. Die Eule mit dem typischen herzförmigen Gesicht nistet gern in der Nähe der Menschen. Vielleicht auch deshalb scheint sie sich in der alten Schlossanlage sehr wohl zu fühlen. Die Vögel haben auf den Colditzer Dachböden ein eigenes Gelass. Es ist größer und etwas anders gebaut als der Unterschlupf für die Falken. Die Schleiereulen haben uns jedoch erst zweimal beehrt. Vom Beringen selbst gibt es keine Fotos. Erst wenn aus den Nestlingen die sogenannten Ästlinge geworden sind und sie im Hof auf die Fütterung durch die Alttiere warten, lassen sie sich anstandslos fotografieren. Dabei durften wir sie ausnahmsweise auch mal streicheln. Mit stoischer Ruhe hielten sie die aufgeregten Betrachter aus. Ihr helles Dunengefieder ist von unglaublicher Zartheit, fast so, als würde man ins Nichts fassen.
Regina Thiede und Frank Schmidt teilen die Liebe zu Vögeln. Sie auf Schloss Colditz, er auf Schloss Rochlitz. Gemeinsam im Schlösserland Sachsen.
Weitere Teile unserer Reihe "Meet & Piep":
Die Sache mit den Störchen – Was die großen Zugvögel im Schloss Rochlitz außer einem guten Eindruck noch hinterließen.
Verschollen in den Wendewirren – Schloss Colditz vermisst Phönix und Pelikan.
Emmaus und Schlaggan – Warum man Vogelnamen einfach so erfinden kann.
Jagdfalken und Haselhühner – Oder: Kann man Eichhörnchen essen?
Stockenten im obersten Stock – Wie schaffen es die Küken ins Wasser?
Japan bei Dresden – ein Schloss für Fasane.
Da lachen ja die Hühner! – Die Vogeltapete von Schloss Weesenstein.
Irokesentaube und Äffcheneule – Lange blieb in Colditz eine umwerfende Vogelwelt versteckt.