Lost auf Schloss Rochlitz
Ich kann mich noch ziemlich genau an die ersten Wochen meiner Arbeit auf Schloss Rochlitz erinnern. Die Sanierung der weitläufigen Anlage war in vollem Gange. Und ich als junger Museologe mitten drin. Was hab ich mich verlaufen auf der Suche nach Räumen mit kryptischen Namen wie der Sand, die Wache, die Silberkammer oder die Mittelstube. Bin ich noch im Südflügel oder schon im Querhaus? Ist das jetzt die Lichte oder die Finstere Jupe? Muss ich nach rechts oder links?
Das Verlies der Finsteren Jupe
Das hat sich nach mittlerweile einigen Jahren natürlich geändert. Ich kann sagen, dass ich das Schloss (fast) wie meine Hosentasche kenne. Bin im Gebälk der Dachböden herumgeklettert, in Fehlböden gekrochen, kenne die meisten Räume auch ohne ihre Dielung. Ich war schon überall und das zigmal. Nein. Glatt gelogen! Ein Raum blieb übrig. Ein ganz besonderer Raum. Einer, der emotional so aufgeladen ist, wie kaum ein anderer. Das tiefe Verlies im Nordturm des Schlosses, der Finsteren Jupe.
Ein Angstloch und dann lange nichts
Warum das so ist? Man kommt nicht so einfach hinein, und hinaus noch schwieriger. Es gibt nur ein Loch in der Decke und dann lange nichts. Ohne Technik keine Chance. Das letzte Mal, dass ein Schlossmitarbeiter diesen entlegenen Raum betreten hat, ist ein Vierteljahrhundert her. Seinerzeit hatte ein kleines Team das schon lange vermauerte Angstloch aufgebrochen und das vergessene Verlies alpinistisch von hier entsorgtem Schutt beräumt. Seitdem war nur noch einmal ein Profi-Kletterer mit Gurt und Seil hier unten, um den Boden von Taubenkadavern und allerlei Herabgeworfenem zu befreien. Was habe ich ihn beneidet und gedacht: Eines Tages …
Begehung der besonderen Art
Im Sommer 2020 ist es soweit. Eine Baubegehung steht auf dem Terminplan. Mit SIB (Sächsisches Immobilien- und Baumanagement), der Schlossleitung und mir. Ein gebrochener Stein im Gewände des einzigen Fensters macht die Begutachtung der besonderen Art nötig. Eine Spezialfirma macht es möglich. Angeseilt und auf einem Gurt sitzend geht es hinab. Ganz bequem mit einem Elektroaufzug. Anders als die Gefangenen damals. Die wurden auch per Seil, doch mittels einer Handwinde mit dem Fuß in einer Seilschlaufe stehend abgelassen. Wie auch immer. Für mich eine gute Gelegenheit, das Ganze auf Video festzuhalten. Eine Besonderheit sollte für mich noch eine Rolle spielen. Eine Abfahrt unter möglichst authentischen Bedingungen, in fast völliger Dunkelheit, wie es die Gefangenen erleben mussten.
Ein Staatsgefängnis des Mittelalters
Doch was hat es mit Verliesen in den Rochlitzer Türmen auf sich? Wer hat sie gebaut? Für wen waren sie bestimmt?
Wir wissen, dass die Verliese schon mit dem Bau der Schlosstürme im späten 14. Jahrhundert entstanden. Der Landesherr, Markgraf Wilhelm I. von Meissen, genannt der Einäugige, brauchte eine Art Staatsgefängnis, in dem er Landfriedensbrecher bis zu ihrer Verurteilung einkerkern konnte. Es waren Mörder, Räuber, Vergewaltiger, Verräter, Aufwiegler, Brandstifter, Diebe oder vermeintliche Zauberer, egal ob Ritter, Bürger oder Bauern, die hier für Tage, Wochen oder Monate einsitzen mussten. Alle vier Wochen wurde verhört, oft unter Folter, wurden Urteile gesprochen und vollstreckt. Es waren meist Körperstrafen oder der Tod, der dann die Verurteilten erwartete. In eher seltenen Fällen wurden Haftstrafen verhängt.
Der längste bekannte Zwangsaufenthalt ist für den Adligen Henning Strobart überliefert. Der überaus ambitionierte Stadthauptmann von Halle und Magdeburg war bei seinem Dienstherrn Kurfürst Friedrich von Sachsen in Ungnade gefallen und bezahlte dafür mit Kerkerhaft. Er starb im Frühling 1456 nach 178 Tagen unter den harten Bedingungen im Verlies.
Frank Schmidt gehört fast schon zum Inventar des Schlosses Rochlitz. Er betreut die Sammlung und ist für die Dauerausstellung "Fett, Einäugig, Revolutionär - Drei Wettiner für tausend Geschichten" verantwortlich.