Ausgestellt!

Das Gesicht des toten Markgrafen

Frank Schmidt /

Maske von Wilhelm dem Einäugigen
Die Dauerausstellung im Rochlitzer Schloss feiert in diesem Jahr Jubiläum. Seit zehn Jahren erzählen sächsische Fürsten und Fürstinnen aus ihrem Leben: der eine fett, der andere einäugig, die jüngste revolutionär. Wahrhaftige und dennoch unterhaltsame Vermittlung. Doch Stopp. Ein Detail passt nicht ganz…

Im Angesicht des Markgrafen

Als Einstieg in den Rundgang durch Schloss Rochlitz und die begleitende Dauerausstellung betreten unsere Gäste die sogenannte Mittelstube. Der beeindruckende Saal ist der zentrale Raum einer ganzen Wohnetage. Markgraf Wilhelm der Einäugige schuf sich hier im späten 14. Jahrhundert eine genauso komfortable wie repräsentative Unterkunft. Neben dem Einstiegsfilm in die Schlossgeschichte gibt es einige Exponate rund um Wilhelm zu entdecken: ein ritterliches Kampfschwert, ein eisernes Faustrohr und eine riesige Geschützkugel. Ein besonderer Glanzpunkt ist der Nachbau seines ultramodernen Harnisches – mit Blick in sein Angesicht.

Doch Moment. Etwas stimmt hier nicht!

Es ist nicht Wilhelm, der aus einer eisernen Beckenhaube auf seine Gäste blickt. Es ist Ludwig van Beethoven! Der große deutsche Komponist, oder genauer sein Abbild, das aus dem Eisen schaut. Der Wiener Bildhauer Franz Klein hatte in Vorbereitung seiner 1812 vollendeten Büste einen Gesichtsabdruck des Künstlers abgenommen. Doch was hat der Abguss des großen Romantikers im Harnisch eines mittelalterlichen Markgrafen zu suchen?

Vom Provisorium zum Dauerzustand

Um das zu beantworten, müssen wir elf Jahre zurück. In der Vorbereitungsphase zur Dauerausstellung stand die Frage im Raum, wie wir den Gesichtsbereich des nach der Grabplatte Wilhelms reproduzierten Harnisches gestalten. Neben einer vereinfachten Abzeichnung der verlorengegangenen Grabplatte gibt es keine weiteren belastbaren Darstellungen des Markgrafen. Sollte das Gesicht frei bleiben? Sollte es schematisch gestaltet werden? Oder sollte man sich an einer möglichst exakten Nachformung des zeichnerischen Vorbilds versuchen? Und wer könnte so etwas bewerkstelligen? Vorerst diente die in der Sammlung des Museums vorhandene Maske Ludwig van Beethovens als Platzhalter. Abgesehen vom fehlenden Auge Wilhelms passte sie perfekt in den Helm. Sie sollte so lange dortbleiben, bis eine Lösung gefunden war. Doch wie es manchmal so ist, wurde aus dem Provisorium ein Dauerzustand.

Vom Meister modelliert

Zehn Jahre sollten vergehen, bis Jörg Danielczyk ins Spiel kommt. Der heute als freischaffender Künstler und ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger tätige Danielczyk ist einer der wenigen, der den Affront erkannte und sich zunächst neugierig an uns wandte. Ein außerordentlicher Glücksfall nahm seinen Lauf. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Jörg Danielczyk ist kein geringerer, als der pensionierte Chefdesigner der berühmten Meissner Porzellanmanufaktur. Ein wahrer Meister auf seinem Gebiet. Er war sofort inspiriert und bot an, der eisernen Gestalt endlich das passende Gesicht zu verschaffen. Als im benachbarten Altzschillen Geborener ist es ihm ein besonderes Anliegen. Für uns ist es eine große Ehre.

Der Gestaltungsprozess

Gesagt, getan macht sich Jörg Danielczyk in seinem Meissner Atelier an die Arbeit. Zum atmosphärischen Klang gregorianischer Gesänge entsteht das plastische Konterfei nach dem Vorbild der Nachzeichnung. Eigentlich sind es zwei mit jeweils unterschiedlicher Farbfassung. Der Künstler lässt sich nicht nehmen, den Charakter des Gesichtes entlang der vorgegebenen Attribute zu schärfen. So symbolisiert die rechte, düster und furchteinflößend anmutende Gesichtshälfte mit dem fehlenden Auge und der langen Narbe über der Wange den kriegerischen Charakter des Markgrafen. Die Linke, deutlich gewogenere, steht wiederum für den politisch weitblickend agierenden Staatsmann. Aber seht selbst:

Frank Schmidt ist Museologe und Kurator der Rochlitzer Dauerausstellung. Er gelobt, in Zukunft seine Gäste nicht mehr mit falschen Gesichtern hinters Licht zu führen. 


Letzte Änderung: 24.01.2020

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