Hinter den Kulissen

Wie findet man einen fliegenden Fisch?

Simona Schellenberger /

Eine farbige Zeichnung von einem fliegenden Fisch. Der Fisch ist grün, die Flossen rot und weiß.
Ein Souvenir beschäftigte mich 2020, als das Histopad für die Albrechtsburg Meißen entstand. Ein Souvenir aus dem 15. Jahrhundert. Fliegende Fische, mitgebracht von Herzog Albrecht bei einer Fahrt über das Mittelmeer. Doch mehr als diese Information ist nicht übermittelt. Aber für die neue Vermittlung braucht es mehr, am besten Anschauungsmaterial. Der Beginn einer Spurensuche.

In Szene gesetzt

Weshalb fliegende Fische im Großen Saal der Albrechtsburg? Wir wollen ein Geschehen in Szene setzen, dass sich hier vor mehr als 500 Jahren abgespielt haben könnte. Wir wollen die Funktion des extravaganten Saals im Raumgefüge des Schlosses begreifbar machen. Zur Darstellung und zur Vermittlung kommt das Histopad zum Einsatz. Dort werden die Szenen später als 3D-Modell zu sehen sein. 

Beim letzten Schritt vom Großen Wendelstein hinein in den Saal beeindrucken seine Ausmaße. Tageslicht flutet durch die großen Fenster, die Gewölbeflächen reflektieren es. Hier ist es viel heller als in einer Kirche. Portale öffnen sich in angrenzende Bereiche des Schlosses und zu den Treppenwendeln. Wir befinden uns in einem Fest- und Empfangsraum und stellen uns vor:

 

…ein später Nachmittag im Frühjahr 1493, Trompetenklänge übertönen die Schritte der Ankommenden und das Rascheln ihrer silberdurchwirkten Gewänder. Den Großen Saal schmücken Teppiche, wärmende Feuerbecken sind verteilt und in scharlachrotes venezianisches Tuch gekleideten Damen vom Frauenhof stehen hinter Herzogin Sidonia (1449-1510). Sie empfängt ihren Neffen, den Kurfürsten Friedrich den Weisen (1463-1525). Er und sein Gefolge beginnen eben eine „Betfahrt“ nach Jerusalem. Aus diesem Grund hat die Herzogin ein Kästchen aus der Silberkammer heranschaffen lassen. Es enthält ein besonderes Mitbringsel: Fliegende Fische, die ihr gnediger her, Herzog Albrecht, von seiner Fahrt über das Mittelmeer mitbrachte. Siebzehn Jahre sind seitdem vergangen – aber sie haben sich ganz gut gehalten…

 

Auf dem Screen des Histopads steht eine kleine Truhe auf einem Tisch. Berühren wir den hier gesetzten Lichtpunkt, springt der Deckel auf, die fliegenden Fische werden sichtbar, ihre Herkunft aufgeklärt.

Passgenaue Quellen fehlen uns für diese Szene, ein Brief etwa, in dem die Herzogin von dem Empfang berichtet. Auch die Schachtel mit den längst zerfallenen fliegenden Fischen gibt es nicht mehr. Den Rahmen haben wir konstruiert: es hätte sich so zutragen können.

Eingelegt oder ausgestopft?

Wie sind fliegende Fische vor mehr als fünfhundert Jahren denn eigentlich konserviert worden? Ist so ein Tierpräparat überhaupt erhalten geblieben? Diese Fragen stellt Ed Lussan, unser französischer Kollege im Vermittlungsprojekt „histopad“, das für die Albrechtsburg Meissen entsteht. Für eine visuelle Rekonstruktion des spätmittelalterlichen Herrschafts- und Wohnsitzes brauchen wir Bildvorlagen. Also starte ich die Recherche. Fotos von fliegenden Fischen finde ich schnell, aber reale Objekte? Ich telefoniere mit Naturkundemuseen und finde in einer der letzten Wunderkammern Europas, dem Naturalienkabinett in Waldenburg (https://www.museum-waldenburg.de/) eine ansehnliche Sammlung akribisch beschrifteter zylinderförmiger Gläser. Die ausgeblichenen Fischkörper darinnen lassen eigentlich nichts mehr von den faszinierenden Wesen erkennen, die weite Strecken dicht über dem Wasser fliegen – vermutlich ein Fluchtverhalten. Diese hier sind eingelegt in Spiritus.

Fanny Stoye und Sandy Nagy, Wissenschaftlerinnen und Vermittlerinnen im Naturalienkabinett holen sie aus den Vitrinen, und ich kann einige Fotos machen. Für unsere Szene, die uns ins Jahr 1493 führt, sind sie allerdings 200 bis 300 Jahre zu jung. Auch das Konservieren in Alkohol war im 15. Jahrhundert noch unbekannt.

Die Präparatoren des Ozeaneums in Stralsund und von Schloss Friedenstein in Gotha, mit denen ich telefoniere und E-Mails wechsle, sind fasziniert von der Nachricht, dass im Inventar der Sächsischen Hofsilberkammer für das Jahr 1478 eine Schachtel (scatel) mit fliegenden Fischen aufgeführt ist. Wir müssen uns vorstellen, dass sie vermutlich getrocknet worden sind, ausgenommen und ausgestopft, mit Sand vielleicht, die Flügel abgespreizt, damit das Besondere auch deutlich sichtbar wird. So kann man Meerestiere ja auch heute noch kaufen, ein Mitbringsel vom Urlaub an südlichen Meeren. Kugelfische fallen mir ein – als Dekoration in Reisebüros oder Kneipen. „Curiosita“ wecken unser Interesse heute wie vor fünfeinhalb Jahrhunderten.

 

Mehr zum Histopad in der Albrechtsburg und dessen Entstehung gibt es hier.

Simona Schellenberger ist Kunsthistorikerin und hatte bei der Recherche Aalle Hände voll zu Thun. Ist aber mit dem Ergebnis sehr zufrieden.


Letzte Änderung: 24.01.2020

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