Hinter den Kulissen

„Schön Kaputt“

Dr. Simona Schellenberger /

gemaltes Gesicht einer Dame vor Abnahme von Watte und Leimresten – Albrechtsburg Meissen
„Malen sie das alles wieder neu?“, fragen Gäste der Albrechtsburg Meissen häufig, wenn sie dicht vor den reich geschmückten Wänden der Säle Menschen mit feinen Pinseln hantieren sehen. Nicht selten entspinnt sich dann ein Gespräch, aber die Zeit dafür ist angesichts des Arbeitspensums der Restauratorinnen und Restauratoren knapp.

„Schön Kaputt“

... unter diesem Motto stand im vergangenen Jahr der Europäische Tag der Restaurierung am 16. Oktober 2022. Ob wir diesen Tag nicht nutzen könnten, um mit wissbegierigen Besucherinnen und Besuchern zu sprechen, ihnen aus nächster Nähe zu zeigen, was wir da eigentlich machen – und sie durch eigenes Tun Ausführungstechniken begreifen lassen?

Mit dieser Idee kam Restauratorin Susanne Launer im Frühjahr 2022 in der Albrechtsburg Meissen auf uns zu. Wir, das sind Katharina Banda, Kulturpädagogin, Falk Dießner, Museologe und Simona Schellenberger, Kunsthistorikerin. Wir arbeiten an den sensiblen Berührungspunkten Mensch-Kulturgut, der sogenannten Vermittlung.

 

Zum genannten Zeitpunkt waren die Restaurierungsarbeiten an den Wänden für das gesamte Jahr durchgeplant: die Schäden kartiert und die Bearbeitungsfolge festgelegt. Ein Arbeitsgerüst stand bereits vor dem größten der Wandbilder, und der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) hatte auf unsere Bitte hin ein zweites Gerüst bauen lassen. Da hinauf würden Besucherinnen und Besucher steigen und die Arbeiten aus nächster Nähe betrachten können.

„Macht Ihnen das etwa Spaß?“

Schließlich ist es kalt und ungemütlich, kann recht einsam sein und eigentlich ist man ja nicht selbst schöpferisch tätig, oder? Und wie bitte: fünf Jahre Studium und vorher schon praktisch arbeiten? Wen aber die Entdeckerlust packt, die Experimentierfreude, der fragt immer wieder: Wie ist denn das gemacht?

Vor der großen Szenerie mit „Kurfürst August von Sachsen und seine Gemahlin Anna vor der Stadt Meißen “ konnte man zweimal pro Woche die Fachleute zu Schadbildern und Restaurierungsmethoden befragen, auf dem Gerüst Störleim an Schollen im Einsatz sehen, mit Streif- und Ultraviolettlicht der handwerklichen und künstlerischen Raffinesse auf die Spur kommen. Die Gerüstgespräche gab es von Juni bis zum temperaturbedingten Saisonende für Restaurierungsarbeiten im November.

Und das selbst Probieren? Lust darauf haben viele. Deshalb hat Susanne Launer am Europäischen Tag der Restaurierung Schablonen, Pigmentfarben, grundierte Platten vorbereitet, Pinsel und Werkzeuge mitgebracht. Und dann ging‘s los. In weniger als einer Stunde gelang ein eigenes Kunstwerk.

„Ist das echtes Gold?“

Auch diese Frage hören die Restauratoren häufig von den Gästen. Die Glanzeffekte beeindrucken. Sie sind technisch aufwendig hergestellt worden und genau abgestimmt auf die gestaltete Umgebung. Keineswegs soll der Goldeffekt die reichen teppichartigen Ornamentflächen oder gar die szenischen Wandmalereien dominieren. In dieser Gesamtkomposition ist alles genauestens aufeinander abgestimmt. Während der Spezialführungen am Europäischen Tag der Restaurierung lag das Augenmerk auch darauf.

Zwischen 1875 und 1881 haben neben elf akademisch geschulten Künstlern auch viele Dekorationsmaler auf der Albrechtsburg gearbeitet. Die Gesamtfläche der gestalteten Wände ist beeindruckend: Gemälde bedecken 660 Quadratmeter, die ornamental dekorierten Flächen (dabei auch wenige einfarbige Flächen) breiten sich auf 2.642 Quadratmeter aus und dazu kommen noch die Decken mit 2.202 Quadratmeter. Im Vergleich: ein Fußballfeld ist mindestens 4.050 Quadratmeter groß. All das umfängt uns beim Wandeln durch die Geschosse, vor allem in der ersten und zweiten Etage des Schlosses.

Wie viele Menschen hier beschäftigt waren in den sechs maßgeblichen Jahren – wir wissen es nicht. Das wäre eine interessante Forschungsaufgabe, gerade im Zusammenhang mit technologischen Fragen, dem handwerklich-künstlerischen Können, mit dem das gewolltes Erscheinungsbild erreicht worden ist. Damit hängt auch die Frage zusammen: „Ist das echtes Gold?“ Nein, es handelt sich um so genanntes Schlagmetall: meistens Messing, ganz dünn zwischen Leder ausgeschlagen, das mit Hilfe einer Anlegeflüssigkeit auf Untergründen haftet und dann weiterbearbeitet werden kann: lackiert, farbig getönt etc.

Und da sich das alles am besten begreifen lässt, wenn man selbst Hand anlegt, es selbst probiert, hat Susanne Launer eine Fertigungsstrecke vorbereitet: Auf grundierten Brettern, dem „Wandaufbau“, fertigten unsere Gäste selbst eines der vielen Wandornamente.

 

Dabei verwendeten sie Schablonen, Mineralfarben und Schlagmetall. Unter fachkundiger Anleitung gelang es Kindern und Erwachsenen, oft in Teamwork, in weniger als einer Stunde ein kleines Kunstwerk zu schaffen. Mit eigenen Händen!

Einkehren und Verputzen

In diesem Jahr darf es weitergehen. Wieder wird zum Europäischen Tag der Restaurierung, dieses Mal am 15. Oktober 2023, in die Albrechtsburg Meissen eingeladen. Ein offizielles Motto gibt es noch nicht, aber wir haben schon etwas in petto:„Einkehren und Verputzen – was haben Restaurierung und Restauration gemeinsam?

Bei „Restauration“ möchten wir auch Kulinarisches in den Fokus nehmen. Denn nicht selten wird der etwas angestaubte Begriff für gastronomische Einrichtungen auch anstelle der Bezeichnung „Restaurierung“ verwendet, was zu „Augenbrauen hochziehen“ bei Fachleuten führen kann. Aber darum soll es uns nicht gehen. Wir entdeckten vielmehr in beiden Bereichen gleiche Wortverwendungen für ganz unterschiedliche Sachverhalte.

 

Wussten Sie, dass das „Einkehren“ und „Verputzen“ – beide Begriffe begegnen uns, wenn es schmeckt – auch beim Restaurieren eine Rolle spielen? Eingekehrt wird das Blattgold (siehe Abbildung oben) und beim Verputzen geht während des Reinigens der Malschicht Originalsubstanz verloren – etwas, dass Restauratorinnen und Restauratoren unbedingt vermeiden wollen. Und dann gibt es natürlich viele Ess- und Trinkmotive auf den Wänden zu entdecken: den Bratwurstesser beispielsweise oder die flehende Bitte eines Malers: wenn ich nur „…MITTAGS REGELMÄSSIG MEINEN CAFFEE HÄTT“.

Nun, wir freuen uns schon auf den Tag und auf Sie.

Dr. Simona Schellenberger ist Kunsthistorikerin, immer neugierig auf den Entstehungsprozess von Kunstwerken und besonders gerne am Austauschen darüber mit Besucherinnen und Besuchern.

Titelbild: Ausschnitt aus dem Wandbild „Kurfürst August und seine Gemahlin Anna vor der Stadt Meißen“ mit Watte und Leimresten während der Restaurierungsarbeiten. Vor diesem flächenmäßig größten Wandbild der Albrechtsburg Meissen befand sich das Gerüst.


Letzte Änderung: 24.01.2020

Weitere Artikel