Die Suche nach dem Schlüssel
Bei der buntbemalten Hochzeitstruhe handelt es sich zweifelsohne um ein herausragendes Stück der Volkskunst des 18. Jahrhunderts. Um einen Blick ins Innere zu werfen, fehlte bislang der passende Schlüssel. Selbst eine Schlüsselsammlung von diversen Bartschlüsseln konnte das Schloss nicht knacken. Viele sind zu groß, wenige zu klein. Und die, die ins Schloss passen – bekommen das Schloss nicht bewegt.
Tiefsitzende Erinnerungen
Vor dem gleichen Problem standen scheinbar schon andere. Beim genaueren Betrachten des Truhendeckels fällt auf, dass sich tief in den Deckel handgrosse Abnutzungsspuren gebildet haben. Über hunderte Male wurde mit Kraft der Hände der Schlüssel gedreht und der Deckel angehoben … Bis die Bemalung verschwand und tiefe Mulden sichtbar wurden. Warum also kein 101. Mal?!
Nach langem Probieren und beherzten aber rücksichtsvollen Zupackens bewegt sich doch etwas. Mit einem Ruck geht der Deckel nach oben. Und?
Bilder statt Beute
Die Truhe ist leer. Dafür erstreckt sich ein buntes Bildermeer über die gesamte Deckelinnenseite. Farbig gedrucktes, verschnörkelt geprägtes und hier und da vergoldetes Luxuspapier bespielt die Truhenwand. Zwischendrin kleben Erinnerungsschnipsel, Glückwunschpostkarten und liebliche Zeitungsausschnitte. Unter dem Motto Erlaubt ist was gefällt! wurde die Truhe durch den Eigentümer nach Lust und Laune tapeziert. Das Zusammenspiel an Bildern besitzt durchaus Parallelen zu Pinterest. Nur früher – nur analog.
Prosit Neujahr 1910!
Eine Neujahreskarte, die das Jahr 1910 mit einem Prosit! willkommen heißt und ein Freundschaftszettel von 1856 lassen darauf schließen, dass die Truhe noch ein langes Nachleben hatte. Vor allem im 19. Jahrhundert war es Mode, die Deckelinnenseite von Truhen mit Papieren aller Art zu dekorieren und damit auch zu individualisieren. Das bunte Treiben hatte auch einen praktischen Nutzen. Da wo das Papier die Holzritzen überdeckte, konnte zumindest kein Staub eindringen.
Wem gehörte die Truhe eigentlich?
Löst man die angeklebten Postkarten vorsichtig, kommt eine Adresse zum Vorschein. Die beschriebenen Postkarten wurden an eine Amalie Auguste Erler in der Königstraße 15 in Döbeln adressiert. Diese wohnte tatsächlich 1900/1901 in der heutigen Straße des Friedens. Wie Amalie Auguste zur, damals auch schon über 100 Jahre alten, Hochzeitstruhe kam, ist noch ein Rätsel. Vielleicht gibt die Truhe auch darauf noch eine Antwort.
Claudia Fiebach ist Museologin auf Burg Mildenstein. Ihre Challenge für 2022: Ordne jeder Truhe einen Schlüssel zu. Denn tatsächlich sind noch einige Truhen auf Burg Mildenstein ungeöffnet.
Letzte Änderung: 24.01.2020