Histories

Wie starb Kurfürst Moritz von Sachsen wirklich?

Dr. André Thieme /

Die Eingangssequenz aus der aktualisierten Präsentation in der Festung Dresden zeigt ein zeitgenössisches Porträt des Kurfürsten Moritz. Über die Schulter schaut sein eigener Geist.
Als sein eigener Geist führt Moritz von Sachsen die Besucher durch die Festung Dresden und sucht dabei nach den Umständen seines Todes: Vergeblich! – Aber was wissen wir heute?

Ein mysteriöser Todesfall

Zweifel sind angebracht. Denn als Moritz, Kurfürst von Sachsen, am 9. Juli 1553 an der Spitze seines Heeres auf dem Schlachtfeld bei Sievershausen verwundet wird, kommt der Schuss von hinten. Die Kugel trifft den Kurfürsten auf der linken Seite über den Lenden in den unteren Rücken. Auch der schräg nach unten führende Schusskanal ist auffällig: Die Kugel tritt am inneren linken Oberschenkel neben den Hoden wieder aus.

seindt wir … mit einem Schuß uber den Lenden getroffen worden, der durch auß gangen, davon dann wir ganz schwach seindt

Moritz von Sachsen in einem Brief an den Bischof von Würzburg am 9. Juli 1553
Herzog Moritz von Sachsen Druckgraphik

Und dann scheint die Verletzung gar nicht so schwer zu sein: Der Kurfürst reitet die Attacke zu Ende (und führt damit seine Truppen in den Sieg), bevor er sich selbst zum Verbinden in Behandlung begibt. Noch am Abend der Schlacht ist Moritz klar, bei Bewusstsein und hoffnungsvoll, schnell wieder zu genesen.

Doch am nächsten Tag verschlechtert sich der Zustand des Wettiners rapide. Moritz liegt im Sterben. Am Abend beichtet er, erhält Absolution und spät nachts auf eigene Bitte noch einmal das Abendmahl. Am Morgen des folgenden 11. Juli gegen 8 Uhr betet der Hofprediger Johannes Weiß (Albinus) für Moritz den Spruch: „Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Moritz nickt dazu – und stirbt. Der mächtigste Fürst des Reiches ist tot; mit gerade einmal 32 Jahren.

 

Die Gerüchteküche brodelt

Die Nachricht vom Tod des jungen Kurfürsten von Sachsen läuft in Schockwellen durch das ganze Reich. Bald schon verselbstständigen sich die Erzählungen über Moritz‘ Verwundung und Sterben: Die Kugel hätte Moritz die Blase zerschmettert; das Geschoss wäre ihm im Leib geblieben; der Schuss hätte ihn auf der rechten Seite getroffen … Vor allem versucht man, sich den Schuss in den Rücken zu erklären: Moritz hätte sich zu seinem eigenen Lager umgewendet und wäre so getroffen worden; durch das Scharmützel sei so viel Staub aufgestiegen, dass keiner den anderen mehr hätte klar erkennen können …

 

Doch bald schon mehren sich Gerüchte, dass der Kurfürst einem Anschlag zum Opfer gefallen ist: Danach sei er entweder aus den eigenen Reihen bewusst und gezielt von hinten angeschossen worden, oder man habe den längst nicht tödlich getroffenen Moritz auf dem Krankenlager vergiftet.

Wem nützt es ?

Mögliche Auftraggeber des Attentats finden sich schnell, denn während seines kurzen Lebens ist Moritz vielen Zeitgenossen empfindlich auf die Zehen getreten: Dem ernestinischen Cousin Johann Friedrich von Sachsen nimmt Moritz 1547 den Kurfürstentitel und weite Teile von dessen Herrschaft ab. Den mächtigsten Mann seiner Zeit, Kaiser Karl V., treibt Moritz 1552 aus dem Amt und macht sich damit die Habsburger zu Feinden –  vor deren angeblichen Giftmischern sich halb Europa panisch fürchtet. Alle fanatischen Lutheraner verprellt Moritz, als er mit dem katholischen Kaiser paktiert; alle fanatischen Katholiken, als er gegen den Kaiser den evangelischen Glauben sichert.

 

Es gibt also reichlich Gründe, den jungen Wettiner beseitigen zu lassen, auch in den eigenen Reihen: Den sächsischen Adligen Georg von Karras zu Coswig soll Moritz gezwungen haben, auf Teile seiner Herrschaft zu verzichten, damit das kurfürstliche Jagdgebiet rund um die neue Moritzburg erweitert werden kann. Auf dem Totenbett habe Georg von Karras den Mord an seinem Herrn gebeichtet. Daraufhin habe man ihm die Sterbesakramente verweigert, den Leichnam gevierteilt und in ungeweihter Erde begraben. Noch heute würde Georg von Karras spuken – so behauptet es eine meißnische Sage.

 

Und dann ist da noch der vordem zurückgesetzte jüngere Bruder: August von Sachsen, der nun die Nachfolge des ohne männlichen Erben gestorbenen Moritz antritt. Er profitiert am meisten vom Tod des Kurfürsten. Und programmatisch gibt August gleich 1553 ein großes Monument in Auftrag, auf dem ihm der verstorbene Bruder symbolisch das Kurschwert übergibt.

 

Was sagt die moderne Forschung?

Wir haben Glück. Die Edition von Moritz politischem Briefwechsel gehörte zu den Top-Projekten der sächsischen Wissenschaft. Ihr letzter Band erschien zum Jahre 2006 und enthält auch alle Dokumente um und über den Tod des Kurfürsten. Mehr noch: Johannes Herrmann, Hauptbearbeiter der Edition, hat 2003 in seiner Moritz-Biografie und 2010 in einem Spezialaufsatz ausführlich zur Sache Stellung genommen.

Er ist sich ziemlich sicher: Moritz wurde von gegnerischen Hakenbüchsen-Schützen getroffen. Herrmann rekonstruiert den Tod folgendermaßen: Die Schlacht droht verloren zu gehen. Da führt Kurfürst Moritz persönlich die Hauptstreitmacht, den „großen Haufen“, gegen die feindlichen Reiter. Doch in einem Waldstück linker Hand neben den Sachsen sind zahlreiche gegnerische Schützen versteckt. Die haben inzwischen nachgeladen, gute Sicht und Zeit zum Zielen.

Moritz reitet den eigenen Truppen voran und gibt ein perfektes Ziel ab. Es steigt noch kein Gefechtsstaub auf, und die Sachsen selbst schießen auch noch nicht, weil sie nicht nah genug an ihren berittenen Feinden sind. In dieser Situation kann niemand aus den eigenen Reihen unauffällig auf den eigenen Kurfürsten feuern! Deshalb kommt der Schuss von den hinten versteckten Gegnern, deren Kugeln zahlreiche weitere Opfer unter den Sachsen und ihren Verbündeten fordern.

 

Moritz wird, aufrecht im Steigbügel stehend, getroffen, die Kugel aber vom durchschlagenen Harnisch ohne größeren Schaden nach unten abgelenkt. Sie verletzt die große Beinvene, die sich zusammenzieht. Moritz verliert also nicht plötzlich, sondern langsam Blut. Er führt die Truppen weiter ins Gefecht an, damit keine Panik ausbricht. Als der Blutverlust ihn dann zunehmend schwächt, reitet Moritz beiseite, um sich verbinden zu lassen – während seine Truppen die Gegner jetzt entscheidend und erfolgreich attackieren können.

Nur anfangs halten die Ärzte den Kurfürsten für „nicht weiter wundt“. Doch dann wendet sich alles zum Schlechten. Moritz hat fürchterliche Schmerzen und kann kein Wasser lassen. Aber er bleibt bei Bewusstsein – bis zum Ende. Als Todesursache sieht Johannes Herrmann eine Kombination aus Blutverlust durch weitere Sickerblutung, einer Infektion des Schusskanals und einem Harn-Stau.

So ist es wohl gewesen – oder doch nicht?

Literaturhinweise:

Herrmann, Johannes: Moritz von Sachsen (1521–1553). Landes-, Reichs- und Friedensfürst, Beucha 2003, bes. S. 230-244.

Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, Bd. 6: 2. Mai 1552 – 11. Juli 1553 mit ergänzenden Dokumenten zum Tod des Kurfürsten, bearb. Von Herrmann, Johannes/Wartenberg, Günther/Winter, Christian, Berlin 2006. – Online: https://slub.qucosa.de/landing-page/?tx_dlf[id]=https%3A%2F%2Fslub.qucosa.de%2Fapi%2Fqucosa%253A16282%2Fmets

Herrmann, Johannes: Zu Krankheiten und Tod des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 81 (2010), S. 59-82.

Dr. André Thieme ist Leiter des Bereichs Museen und kann die Lebensdaten sämtlicher Wettiner im Schlaf aufsagen.

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Letzte Änderung: 24.01.2020

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