Hinter den Kulissen

Hollywood in Schloss Moritzburg – ein Museum steht Kopf

Uli Kretzschmar /

In den Räumen von Schloss Moritzburg bei Dresden fanden im Oktober 2018 Dreharbeiten für ein Remake von „Drei Engel für Charlie“ statt. Im Bild: Kristen Stewart, Naomie Scott und Ella Balinska.
Im Oktober 2018 drehte Sony Pictures in Zusammenarbeit mit Studio Babelsberg unter der Regie von Elizabeth Banks ein Remake von „3 Engel für Charlie“ im Schloss Moritzburg. Oben im Bild die drei Hauptdarstellerinnen Kristen Stewart, Naomi Scott und Ella Balinska.

Eiswürfel. Überall Eiswürfel. Sie liegen auf Stühlen, Tischen und Treppenstufen. Beim zweiten Blick stellt sich heraus: sie sind aus Plastik. An den Wänden wellt sich schweres Leder. Die hohen Räume wirken braun und düster. Altes Gold schimmert hindurch. Grelle Neonröhren stehen links und rechts vom Gang und bilden eine Art Tunnel. Auf dem Boden liegen Kabel, Metall, Stangen, Chrom. Sind das Gleise?

Hollywood herrscht im Schloss Moritzburg

Wir sind eingeladen, das Set für den Dreh einer Szene im Film „3 Engel für Charlie“ im Schloss Moritzburg zu besuchen. Es ist später Oktober in Sachsen. Es regnet grau, es ist kalt. Moritzburg ist eine von mehreren Locations für diesen Film.
Menschen eilen hin und her, bellen hastige Kommandos in ihre Funkgeräte. Es wird hektisch, mit jedem Schritt vorwärts geraten wir tiefer in das Gewusel. Der nächste Raum, größer, rätselhafter. Hirsche tauchen auf. Sie recken ihre Köpfe aus den Wänden. Mit großen Augen glotzen sie auf das Getümmel. In einer Nische beugen sich Menschen über Bildschirme. Sie tragen Anzüge in grellen Farben, knappe Outfits und glitzernde Kleider.

 

Perfekte schreckliche Illusion – wir sind beim Film

Ein großer, schlanker Mann mit charakteristischem, kahlem Schädel in grauem Anzug stellt sich vor: „Gestatten, ich bin Double für Sir Patrick.“ Ein Typ im Kapuzenshirt mit Funkgerät und lauter Stimme gibt Kommandos. Noch ein großer hagerer Mann mit charakteristischem, kahlem Schädel im grauen Anzug: „Gestatten, ich bin auch Double von Sir Patrick.“ Dann taucht vor uns ein gigantischer Eisberg auf, er steht inmitten des großen Festsaales vom Schloss. Eine Spitze aus Eis ragt in die Höhe. Auf der steckt ein Mensch, offensichtlich brutal aufgespießt. Ist er von der Empore herunterfallen und auf die Eisspitze gestürzt?

 

Die Komparsen ringsherum scheint das nicht zu kümmern. Einer prostet dem Aufgespießten freundlich zu, ein Kamerakran schwenkt über die gesamte Szenerie. Der Aufgespießte bewegt sich kurz. Er rutscht auf einem kleinen Sattel, auf dem er sitzt, in eine andere Position. Die Eisspitze ist nur auf seinen Bauch geschnallt. Perfekte schreckliche Illusion – wir sind beim Film.

 

Das neue Hollywood in Moritzburg

Am Set tut sich einiges, offensichtlich probt die Crew gerade eine Art Choreografie für eine Szene. Eines der Sir-Patrick-Doubles steht mitten im Gewusel. Hinter einer spanischen Wand tauchen eine nach der anderen die drei Engel auf. Kristen Stewart, Naomi Scott und Ella Balinska zappeln aufgekratzt in viel zu bunten Outfits auf dem Parkett des Festsaals.

Und dann steht sie plötzlich mitten im Set. Die Regisseurin Elizabeth Banks, weißes, hautenges Glitzerkostüm, Platinfrisur, klare Stimme. Sie posiert, erklärt, tanzt, zeigt die Abläufe und Bewegungen. Diese Frau ist es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, sie ist es gewohnt, den Ton anzugeben, sie hat ihr Ziel glasklar im Blick. Für dieses Projekt übernimmt sie Produktion, Regie und eine der Hauptrollen. In Interviews deutet sie an, dass sie der Männerdomäne Filmproduktion als Frau die Zähne zeigen will. Sie wirkt gleichzeitig grazil wie ehrfurchtgebietend. Ihr Image aus „Scrubs“ oder „Jungfrau (40), männlich, sucht…“ will einfach nicht so recht passen. Hier steht ein ganz anderer Mensch, keine Dumpfbacken-Nebenrolle, hier steht mitten im Raum: das neue Hollywood.

 

455 Personen koordinieren und ernähren

Das Set ist riesig, über elf Räume auf der gesamten ersten Etage im Schloss verteilt. Das Museum verschwindet darunter wie dunkles Brot unter zu viel Butter. Markus Bensch, Production Executive Location bei Studio Babelsberg, recherchiert die Anzahl der Beteiligten über den Aufwand im Catering. Zu Spitzenzeiten mussten 276 Crewmitglieder, 159 Komparsen und etwa 20 Verantwortliche für Kostüm und Maske am Set mit Essen versorgt werden. Das sind 455 Personen, die es zu dirigieren und zu verpflegen galt.

 

Das ehrwürdige Hollywood, eine Ära

Elizabeth Banks ist mit den Anweisungen durch. Plötzlich steht sie starr und streckt ihre Arme aus, wie zum Empfang. Laut und fröhlich ruft sie: „Patrick!“ Von links nähert sich ein schlanker Herr mit charakteristischem, kahlem Schädel und grauem Anzug. Im Festsaal von Schloss Moritzburg steht Sir Patrick Stewart, Captain Jean-Luc Picard, Professor Charles Francis Xavier, da steht das ehrwürdige Hollywood, eine Ära.

 

Kurz drängt sich noch die Maske an ihn heran, der Typ mit dem Kapuzenshirt ruft „Action!“ und ganz unerwartet fallen alle männlichen Komparsen zu Boden, die Frauen bleiben stehen. Stewart dreht sich zu Banks und den Engeln um und sagt mit seiner sonoren, vollen Shakespeare-Stimme: „Well, you have been busy!“ Klappe fällt. Banks gibt Anweisungen und alles geht auf Anfang. Kurz Maske, Action! Männer fallen, „Well, You have been busy!“ Und noch einmal: Maske – Action – Männer – “Well, you have been busy!” Noch drei, viermal geht das so, dann baut das Team eine neue Szene auf. Alles in allem etwa fünfzehn Sekunden Film.

Nach zwei Wochen ist der Trubel vorbei, Hollywood ist wieder raus aus dem Schloss. Museologe Ralf Giermann und seine Leute benötigen knapp zwei Tage, um das Museum wieder einzurichten. Zwei weitere Wochen später dreht sich im Schloss erneut alles um einen Film: die jährliche Winterausstellung zu „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ hat eröffnet, die mittlerweile über eine Million Menschen gesehen haben.

 

Unser Pressesprecher Uli Kretzschmar liebt seine Frau und seine Kinder, doch wir vermuten Filme zuweilen etwas mehr.

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Letzte Änderung: 24.01.2020

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