Ausgestellt!

Eintauchen in die Albrechtsburg – Der neue Multimediaguide „HistoPad“

Annekathrin Heichler /

Überblendung der Grossen Hofstube der Albrechtsburg Meissen mit einem Bankett von 1493
Wie lebte Herzogin Sidonia auf der Albrechtsburg? Wie sah das Schloss aus, als hier die Porzellanmanufaktur in Betrieb war? Mit dem HistoPad wird sichtbar, was vor Ort nicht mehr zu sehen ist. Und historisches Quellenmaterial lebendig.

Große Hofstube, 1493: Festlich gekleidete Personen ziehen in einen hellen Saal ein. Lange Tische biegen sich vor üppigen Speisen, vom Trompeterstuhl spielt Musik… Wisch. 1840: Ist das der gleiche Ort? Eine niedrige Holzdecke durchzieht den Raum. Es ist dunkel, schmutzig, überall lagern runde Gefäße… Wisch. 2020: Wir sind wieder im Hier und Jetzt. Das Gewölbe ist zurück! Wände, Pfeiler und Decke sind mit prächtigen Malereien geschmückt. Doch bis auf ein paar große Skulpturen ist der Raum nun: leer.

 

Über 500 Jahre Geschichte

Diese Szenen sind nur drei von vielen digitalen Visualisierungen, die auf dem neuen Multimediaguide „HistoPad“ im Schloss Albrechtsburg zu entdecken sind. Sie offenbaren, dass hier wirklich gelebt, gefeiert, gearbeitet wurde. Dass nicht alles, was wir heute sehen, von Anfang an da war, und vieles schon wieder verschwunden ist.

Zum Beispiel die Wandgemälde: die kamen erst im 19. Jahrhundert hierher und nicht etwa schon im Mittelalter. Oder die Holzdecke: sie wurde im 18. Jahrhundert als Zwischenboden eingezogen, um Brennkapseln für Porzellane herzustellen und zu lagern. Damals befand sich die Meissner Manufaktur im Schloss, mit zahlreichen Angestellten, Brennöfen und viel Staub. Von den mittelalterlichen Raumfunktionen war damals nicht mehr viel zu spüren – so, wie heute von der Manufakturzeit jede Spur fehlt. Dabei war sie ein wesentlicher Teil der über 500-jährigen Schlossgeschichte.

 

Mit dem Tablet in die Vergangenheit

Mit dem tablet-großen HistoPad werden genau diese verschwundenen Zeiten plastisch. Raum für Raum scannt man sich in die Vergangenheit, gelangt vom 19. ins 15. Jahrhundert und wieder zurück ins Heute – und sieht durch das Display den Ort, wie er (nach aktuellem Forschungsstand) in der jeweiligen Zeit ausgesehen hat und genutzt wurde.

Viel gibt es zu entdecken in den digitalen Szenen. Schwenkt man das HistoPad die vollen 360 Grad herum, entgeht einem kein Detail: welche Personen anwesend sind, warum nicht alle aus Gläsern trinken, was die Wandgemälde zeigen, wozu man überhaupt Brennkapseln braucht… Touchpoints liefern interaktive Zusatzinformationen, doch man kann auch einfach nur schauen und in die Geschichte eintauchen.

 

Vom Fußboden bis zur Gewandschließe

Das HistoPad ist ein Gemeinschaftsprodukt der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen und der französischen Firma Histovery, die diese Form der Vermittlung schon in zahlreichen französischen Schlössern und Museen umgesetzt hat – und jetzt erstmalig auch in einem deutschen Objekt.

Ein gemeinsames wissenschaftliches Team hat jedes Element der Visualisierungen über mehrere Monate hinweg erarbeitet und evaluiert: die Lage der Zwischenböden, die Schleifspuren auf dem Holzboden, die Farbe der Fußbodenkacheln im Mittelalter, der Lichteinfall durch die Fenster, das Muster der Stoffe, die Fibel, die das Gewand zusammenhält. Und was hat man im Jahr 1493 eigentlich aufgetischt?

Eichhörnchen und Haselhühner!

Manchmal war die Quellenlage dankbar. Aus der Manufakturzeit der Albrechtsburg gibt es Fotografien und Stiche, die die damalige Einrichtung und Nutzung bestimmter Räume zeigen. Und die sogenannten „Presslerschen Pläne“: Diese 1838/40 von Friedrich Carl Pressler angefertigten Zeichnungen und Beschreibungen dokumentieren alle Einbauten im Schloss während der Nutzung als Porzellanmanufaktur. Zwischenböden, Öfen, Regale und Arbeitsvorgänge konnten so möglichst originalgetreu visualisiert werden.

Etwas schwieriger war es bei den mittelalterlichen Szenen. Wir wissen nicht genau, wie Herzogin Sidonia aussah, weil sich kein Porträt aus ihren Lebzeiten überliefert hat. Oder welche Bänke und Tische beim Bankett standen, da kein so frühes Inventar, geschweige denn die Möbel erhalten sind. Doch wir haben Briefe der Herzogin, die manches Detail offenbaren: dass sie eine Fibel aus Dresden geordert hat. Oder dass sie Wildbret, Eichhörnchen und Haselhühner für die Tafel bestellte.

Dynamische Weiterentwicklung

Um die historischen Szenen visuell zu vervollständigen, studierten wir Forschungen zu Kostüm und Mode, zu Tischsitten, Wohn- und Tafelkultur und griffen auf zeitgenössische, möglichst regionale Vergleichsbeispiele aus künstlerischen Darstellungen, schriftlichen Quellen und überlieferten Objekten zurück. So manche Entdeckung kam bei der Recherche zutage: unter anderem ein schon lange gesuchtes Porträt von Wilhelm Rossmann, der für die Ausmalung der Albrechtsburg im 19. Jahrhundert verantwortlich zeichnete.

Einige Entscheidungen mussten wir nach dem „Best-Guess-Prinzip“ treffen. Doch das HistoPad ist ein dynamisches Produkt: Es wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert, sodass neue Forschungsergebnisse jederzeit einfließen können. Auch bestehende Erkenntnisse, die im ersten Auftakt noch keinen Platz gefunden haben, werden nach und nach eingebaut.

Und dann geht es wieder los: Kurfürstliches Appartement… Wisch. Das Farbenlabor… Wisch.

 

Annekathrin Heichler ist wissenschaftliche Volontärin im Bereich Museen und Teil des HistoPad-Teams Albrechtsburg. Neben der produktiven Arbeitsatmosphäre schätzt sie besonders den kosmopolitischen Dreiklang aus Englisch, Französisch und Deutsch während der Projektarbeit.


Letzte Änderung: 24.01.2020

Weitere Artikel