Hinter den Kulissen

Wie junge Menschen Demokratie lernen und leben können

Ein Erfahrungsbericht aus der Kinder- und Jugendarbeit bei der Dresdner Parkeisenbahn

Antje Borrmann /

Grafische Darstellung der Partizipations-Pyramide mit den Stufen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
Um die Kinder und Jugendlichen bei der Dresdner Parkeisenbahn aktiv und auf Augenhöhe zu beteiligen, haben wir uns entschlossen, die Beteiligungs-App AULA einzuführen. Doch warum sollten junge Menschen überhaupt beteiligt werden? Woran und wie sollen sie sich beteiligen? Und geht das überhaupt bei einer so straff organisierten Institution, wie es ein Eisenbahnbetrieb ist?

Will man eine zeitgemäße Bildungsarbeit für junge Menschen leisten, kommt man nicht mehr umhin, sich intensiver mit den Möglichkeiten ihrer Beteiligung auseinanderzusetzen. Und das ist aus mehreren Gründen gut so.

Jüngst hat eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach Erschreckendes zutage gebracht: 31% der befragten Bundesbürger seien der Ansicht, in einer „Scheindemokratie“ zu leben; der Anteil der Befragten aus Ostdeutschland liegt sogar deutlich höher und beträgt 45%. Für die Zukunft einer offenen, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft – und für diese setzen wir uns in unserer Bildungs- und Vermittlungsarbeit ein – sind die Zahlen beunruhigend. Wie kann man dieser Demokratieskepsis begegnen? 

Hört man einschlägigen Experten zu, ist das Rezept im Grunde sehr einfach. Das Schlüsselwort lautet Selbstwirksamkeit – fast schon ein Modewort, das in aller Munde ist. Doch was heißt das konkret? 

Wie sich die Jugendlichen beteiligen können

Unter den Parkeisenbahnern wuchs der Wunsch, stärker in Prozesse und Entscheidungen eingebunden zu werden. Begonnen mit einem Kinder- und Jugend- sowie Assistentenrat als repräsentative Form der Mitbestimmung, war es unser Anspruch, jeden und jede bei der Parkeisenbahn direkt zu beteiligen. Nur wie? Eher zufällig, aber genau zur richtigen Zeit sind wir auf die Beteiligungs-App AULA aufmerksam geworden. Entwickelt für den schulischen Kontext bietet AULA genau das, wonach wir gesucht haben.

In einem verbindlichen und vorher festgelegten Rahmen kann jede und jeder Ideen für die Gestaltung des Parkeisenbahnumfelds entwickeln und umsetzen. Beispielsweise können Veranstaltungen, Ausflüge oder Veränderungen angeregt werden. Findet eine Idee eine ausreichende Unterstützung, wird im nächsten Schritt daraus ein umsetzbarer Abstimmungsvorschlag. Das heißt, die Jugendlichen arbeiten die Ideen selbstständig und eigenverantwortlich so aus, dass sie real umgesetzt werden können. Dafür müssen sie mitunter inhaltliche und organisatorische Dinge klären, einen Ablauf- oder Terminplan erstellen, Aufgaben zuteilen und, wenn es erforderlich ist, finanzielle Aspekte bedenken. Das kann entweder allein oder kollaborativ erfolgen. Da für die Umsetzung eine Mindestzustimmung erforderlich ist, müssen die Jugendlichen für ihren Vorschlag Werbung machen und Mehrheiten organisieren. Verläuft die Abstimmung erfolgreich, kann der Vorschlag verwirklicht werden. In einem demokratischen Prozess ist aus einer fixen Idee damit eine sehr konkrete Umsetzungsmaßnahme geworden. Die Hauptverantwortung tragen die Parkeisenbahner.

Die Vorbereitungen laufen

Doch schon im Vorfeld der App-Einführung sind die Jugendlichen gefragt, denn es müssen die Rahmenbedingungen geklärt, Prozessabläufe beschrieben und Verhandlungen mit den Leitungsverantwortlichen bei Parkeisenbahn und Schlossbetrieb geführt werden. Angesichts formaler Regelwerke wie der Bau- und Betriebsordnung für Pioniereisenbahnen stellt sich zunächst die Frage, wo und in welcher Form junge Menschen in einem streng organisierten Bahnbetrieb überhaupt beteiligt werden können. Eine Frage, die ehrlicherweise auch die Beschäftigten in der Betriebsleitung bewegt.

Daher hat sich eine Arbeitsgruppe aus fünf Jugendlichen und unserer Sozialpädagogin gebildet, welche die App-Einführung vorbereitet. Bereits in dieser Phase zeichnet sich das Bildungspotenzial ab. Die Arbeitsgruppe steckt nicht nur das Feld der Beteiligung ab, zum Beispiel das Mitwirken bei der Durchführung besonderer Fahrtage, die Mitgestaltung der Bahnhöfe oder die Mitsprache bei den Bildungsangeboten. Sie diskutiert ebenso, wie hoch die Unterstützung für eine Idee sein muss, damit sie in die Ausarbeitungsphase kommt, wo die Wahlbeteiligung bei der Abstimmung über konkrete Umsetzungsvorschläge liegen sollte, wer die Regeln und Prozessabläufe in der App kontrolliert oder was bei Verstößen zu tun ist.

Außerdem verständigt sich die Gruppe auf Regeln im Umgang miteinander, die im Kern auf Respekt, Wertschätzung und Empathie zielen. Die jungen Menschen definieren, organisieren und verhandeln ihre Beteiligung selbst. Und wir Erwachsene können nur staunend zusehen, wie ernsthaft sich Jugendliche mit ihrer Umwelt auseinandersetzen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.

Warum die App AULA?

Was uns an der App AULA besonders gefällt, ist das erklärte Ziel der App-Entwickler (Politik digital e.V.), die Rolle der Jugendlichen verändern zu wollen.

Sie sollen sich nicht als Opfer oder Konsument*innen ihrer Umwelt fühlen, sondern als deren Gestalter*innen

Marina Weisband

Mit der direkten Beteiligung lernen Jugendliche „Verantwortung für sich und andere zu tragen. Sie lernen besser zu kommunizieren, zusammenzuarbeiten, kreativ und kritisch zu denken. Sie haben größere Selbstwirksamkeitserwartungen, Eigenständigkeit und stärkeren sozialen Zusammenhalt.“ (Quelle) Nebenher fördert die App wesentliche Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien und stärkt das Kommunikations- wie Empathievermögen – wesentliche Voraussetzungen für ein gelingendes gesellschaftliches Miteinander.

Im nächsten Schritt soll die App bei den älteren Parkeisenbahnern und Assistenten eingeführt und angewendet werden. Ziel ist es, voraussichtlich bis zum Winterausbildungsjahr 2024/25 die App für alle Parkeisenbahner nutzbar zu machen. Eines zeigt sich heute aber schon: Beteiligung will gelernt sein und es braucht seine Zeit, junge Menschen zu motivieren und zu befähigen. Doch es lohnt sich dranzubleiben, nicht nur für eine zeitgemäße Kinder- und Jugendarbeit bei der Dresdner Parkeisenbahn, welche die Lebenswelten der jungen Menschen ernst nimmt, sondern auch für unsere offene, demokratische Gesellschaft.

Wie kann meine Organisation AULA nutzen? Sowohl die Software als auch das didaktische Begleitmaterial stehen als offene Bildungsressourcen zur Verfügung. 

Antje Borrmann koordiniert die Netzwerkstelle Kulturelle Bildung. Sie beobachtet, dass Kinder und Jugendliche oft unterschätzt und bevormundet werden. Daher gilt für sie, was Herbert Grönemeyer 1986 schon besang: Kinder an die Macht. 

 


Letzte Änderung: 24.01.2020

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