Histories

Ein Fund auf dem Dachboden

... und was der mit Getreide zu tun hat

Frank Schmidt /

Wer sich hier hinauslehnt, sollte schwindelfrei sein. Zumindest einigermaßen. Mutige werden mit einem grandiosen Blick auf das Gelände des Unterschlosses belohnt. Doch der Ausblick ist nicht der Zweck dieser Dachgaube. Was es damit auf sich hat und was noch so auf dem Dachboden zu finden ist, erfahrt Ihr im Artikel.

Die große Rolle

Hoch oben auf dem Dachboden des Querhauses findet sich eine durch zwei hölzerne Läden zu öffnende Dachgaube, die freien Blick auf das ehemals dicht bebaute Areal des Unterschlosses freigibt. Heute befindet sich hier nur noch eine Wiese mit einem kleinen Torhaus, in dem das Blümchencafé mit frischem Kaffee und selbstgebackenem Kuchen zum Schlemmen und Verweilen einlädt. Oberhalb der Dachgaube kragt ein Balken mit einer ein stabiles Seil führenden Umlenkrolle nach außen. Innen führt das Seil zu einer mächtigen hölzernen Rolle, die senkrecht zwischen Laufboden und Dachgebälk drehbar verankert ist. Aus ihrer Achse kragen zwei lange Handhaben aus. 

Getreide unterm Dach

Das Ganze ist ein historischer Seilzug, der auf der Schlossbrücke direkt vor dem Tor zum Oberschloss endet. Mit seiner Hilfe wurde einst Getreide in die luftige Höhe des Dachbodens gezogen. Es ist das Getreide der Bauern der umliegenden Dörfer, die als Gegenleistung für überlassenes Land einen bestimmten Teil ihres Ertrags an die kurfürstliche Amtsverwaltung abliefern mussten. Dieses Getreide wurde neben einem großen Kornhaus im Unterschloss auch in den zu Schüttböden ausgebauten Dachböden des Fürsten- und Querhauses gelagert. Eine eigenartige Konstellation, denn in den darunter liegenden Etagen konzentrierten sich die Wohnräume der fürstlichen Familie. Das störte seinerzeit anscheinend niemanden.

Bis hier und nicht weiter!

Für die abliefernden Bauern bildete das mittlere Schlosstor in dem sich über ihm mächtig aufbauenden Querhaus eine deutlich sichtbare Grenze. Bis hier und nicht weiter. Während das Unterschloss mit seinen Amtsbüros, Wirtschaftsgebäuden, Lagerräumen und Ställen als ein vergleichsweise öffentlicher Bereich galt, war der Zutritt ins Oberschloss der herrschaftlichen Familie sowie wenigen Beamten und hier benötigten Bediensteten vorbehalten. Den für die befreiende Quittierung der Abgaben erforderlichen Eintrag ins Rechnungsbuch erhielten die Bauern in der Amtsstube des Unterschlosses. Zumindest bis zu seiner Zerstörung während des 30jährigen Krieges.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Doch zurück zum Seilzug. Das Herz des historischen Systems, die große Rolle, war eigentlich schon verloren. Mit dem Übergang der Naturalienabgaben in reine Geldleistungen spätestens im 19. Jahrhundert wurden die Schüttböden und eben auch der Seilzug unnötig. Er wurde abgebaut und entsorgt. Doch die Entsorgung der doch recht schweren und gleichsam sperrigen großen Rolle geschah gleich an Ort und Stelle nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Wo? Gleich nebenan im Fehlboden des Dachbodens, einem Hohlraum zwischen der oberen und unteren Balkenlage, wie wir sie im Schloss nahezu in allen Etagen finden. Und so fand sie sich zusammen mit allerlei Bauschutt der letzten Jahrhunderte bei der Sanierung des Schlosses in den frühen 2000er Jahren wieder und konnte an originaler Stelle wiederaufgestellt werden. Ein Glücksfall für die denkmalpflegerische Vollständigkeit des historischen Gebäudes. 

Frank Schmidt ist seit vielen Jahren auf Schloss Rochlitz beschäftigt. Im Lauf der Zeit hat er ein Faible für Fehlböden entwickelt - und allem, was darin zu finden ist.


Letzte Änderung: 24.01.2020

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