August der Starke mit Mundschutz. Das Titelbild des Dresdner Stadtmagazins SAX vom April 2020 ist ebenso großartig wie eindeutig. Es zeigt, wie aktuell der Mythos August hierzulande ist. Noch immer steht August, noch immer steht der Goldene Reiter für Dresden, für Sachsen. Noch immer taugt er als Symbol einer sächsischen Identität.
Als Chiffre für Sachsen hatte 1996 schon der „Spiegel“ August den Starken in Szene gesetzt, als er ein bekanntes Reiterporträt Augusts mit dem damaligen Ministerpräsidenten Sachsens verschmelzen ließ. Nur ein Beispiel von vielen, die in der Moritzburger Sonderausstellung „350 Jahre Mythos August der Starke“ zu erleben sind, die am 20. März 2020 schon hätte eröffnen sollen.
Held und Antiheld
Was macht den Mythos August aus? Wovon nährt er sich? Wie hat er sich entwickelt? Das sind die spannenden Fragen, die die Sonderausstellung in den Blick nimmt.
Denn August startet keineswegs als sächsischer Held durch. Gerade im 19. Jahrhundert durchlebt er eine mühevolle Durststrecke. Die Geschichtsschreibung sieht in ihm damals eher den Verderber Sachsens, einen lüsternen Verschwender und militärischen Looser – den man gern moralisierend dem strahlenden teutschen Helden dieser Zeit Friedrich II. von Preußen gegenüberstellt, weil er sich so vollkommen von ihm unterscheidet.
Witziger Weise bringt eben dieser Kontrast zum kriegerischen Friedrich unseren „lebenszugewandten“ August den Starken im frühen 20. Jahrhundert in die Pole-Position einer sich von Preußen distanzierenden sächsischen Identität. Der neue August-Hype treibt erstaunliche Blüten.
Nehmen wir nur den Daumeneindruck:
Den habe August der Starke hinterlassen, als er mit herkulischer Kraft seinen Daumen auf das Eisengeländer an der Brühlschen Terrasse drückte. – Dass er das das so nicht getan hat, liegt auf der Hand. In der Ausstellung misst dazu ein modernes Gerät die Daumendruckkraft der Besucher und Besucherinnen. Die liegt im Durchschnitt bei etwa 20 Kilopond. Die Skala des Messgeräts erfasst natürlich auch die außergewöhnlich „Starken“ und reicht deshalb bis 44 Kilopond. Hätte August das Eisengeländer wirklich so verformt, wären mindestens 1200 Kilopond nötig gewesen!
Wem das nicht reicht, dem kann mit einfachen historischen Fakten geholfen werden: Denn das besagte Geländer an der Brühlschen Terrasse wird erst um 1745, mehr als zehn Jahre nach dem Tod des starken Königs, errichtet! Trotz dieser Offensichtlichkeiten sägt ein mutmaßlich sachsenaffiner Sammler das Geländerstück mit der muldenförmigen Vertiefung in den 1960er Jahren heraus und stiehlt es. Der Kunstschmied Karl Bergmann erneuert den Daumeneindruck, als die Lücke wieder geschlossen wird – was weder die Dresdner noch Touristen davon abhält, bis heute zu der Stelle zu pilgern und dort schmunzelnd oder staunend auf „Augusts“ Daumeneindruck zu schauen. Diese Pilgerstätte macht deutlich, was der Mythos August an erster Stelle ist: ein Symbol jenseits des Realen.
Wer dem Mythos August nachspürt, der erfährt also weniger über August den Starken selbst, aber viel über die Zeiten, in denen ein sich wandelndes August-Bild immer wieder neu geformt wurde – bis heute.
Aktuelle Information zu den Öffnungszeiten finden Sie auf der Website von Schloss Moritzburg. Wir hoffen, Sie bald im Schloss begrüßen zu können!
Dr. André Thieme leitet den Bereich Museen und hat die Ausstellung »Mythos August - Geschichte. Macht. Ihr.« mit kuratiert. Zur Ausstellung erscheint eine gleichnamige Begleitpublikation.
2021 ist die Ausstellung auf Burg Mildenstein zu sehen!