Anfänglicher Übermut
Für den Anfang mag die Aufgabe leicht erscheinen: Jedem würden auf Anhieb eine Handvoll Berufe einfallen, die es auf Schlössern, Burgen und Garten- bzw. Parkanlagen gab. Begriffe wie Ritter, Koch, Hofnarr, Magd und Knecht stehen mir vor Augen. In irgendeiner Ecke des Oberstübchens lungern Marschall, Kammerzofe und Hofdame herum und lachen sich ins Fäustchen, wenn ich versuche, so zu tun, als wüsste ich genau, was deren Aufgaben in einem Herrschaftshaus waren. Gedanken über die beim fleißigen „Downton Abbey“-Schauen gelernten Unterschiede zwischen Kammerdiener, Butler und Diener gehen mir durch den Kopf, einhergehend mit Diskussionen um das Tragen weißer Handschuhe.
Nun muss man als Geschichtsstudentin dem mehr oder weniger offiziellen Historikerkodex treu bleiben: lediglich verlässliche Quellen und Fachliteratur dürfen verwendet werden. Und wehe, auf diese wird in der Arbeit nicht angemessen verwiesen! Bevor das gefährliche Halbwissen zu Papier gebracht wurde, musste ich mich demnach erst einmal hinsetzen und Literatur recherchieren.
Komplizierter, als man denkt
Mit der immer größere Ausmaße annehmenden Literaturrecherche bahnte sich langsam die Ahnung an, dass sich das Thema viel komplexer gestalten würde, als ich erwartet hatte. Wie sollte man eine Aufteilung der Berufe vornehmen? War eine Aufteilung überhaupt notwendig? Welche Berufe waren in welchem Zeitraum wo zu finden? Wie wurden sie bezeichnet? Welche Berufe sind aus welchem vorhergehenden Beruf entsprungen? Wie gestalteten sich die Beziehungen zur Herrschaft? Gab es diesbezüglich Veränderungen im Laufe der Zeit?
Wenn viele Daten sortiert werden müssen, ist eine Einteilung vonnöten, und da ich von vielen Daten ausging, legte ich eine solche an: Je eine Tabelle für Schlösser, Burgen und Gärten. Die Berufe sollten mit Bezeichnung, Aufgaben und Besonderheiten in verschiedene Unterkategorien aufgeteilt werden.
Leider verhält es sich in der Geschichtswissenschaft und Quellenüberlieferung so, als hauptsächlich Informationen über adlige, wohlhabende sowie männliche Vertreter der Menschheit aufzufinden sind. – Das legte mir einmal mehr einen Stein in den Weg.
Da traf es sich gut, ein Praktikum bei den Schlössern, Burgen und Gärten Sachsens zu absolvieren, denn hier arbeiten die Experten und Expertinnen zum Thema früherer Alltag und Leben in sächsischen Kulturdenkmälern. So habe ich viele E-Mails rausgeschickt, auf die mit inspirierenden Anregungen und Literaturtipps geantwortet wurde.
Schlösser, Burgen, Gärten – wer arbeitete wo?
Mit vertiefender Recherche füllten sich die Datentabellen, und der verwirrende Knoten an Fragen löste sich langsam auf. Ich erkannte, dass Schloss- und Gartenberufe auch auf Burgen auftauchen konnten und umgekehrt. So kann man den Beruf der Kammerfrau beispielsweise sowohl Schlössern als auch Burgen zuordnen: Verweilte der Fürst gerade auf einer Burg, ist es möglich, dass Teile des Hofstaates auch anwesend waren – dies schloss Bedienstete der Herrin mit ein. Die Kammerfrau bzw. das Kammerfräulein half der Herrin beim Ankleiden und arbeitete als eine Art Dienerin, die für die Herrin unverzichtbar war.
Burgherren konnten verschiedener sozialer Stellung sein: Könige, Bischöfe, aber auch niedere und einflussreiche Adlige residierten hinter den dicken Gemäuern. Oft wurden Burgen auch als Amtssitz von Vögten, Alterssitze von hohen Adligen oder Witwengüter genutzt.
Die Lebensverhältnisse auf der Burg änderten sich zudem je nach Epoche und danach, wie groß oder klein die Burg war. So arbeiteten auf einer kleinen Burg vielleicht nur ein paar Knechte und Mägde. Die Burg diente zudem in vielen Fällen weniger der herrschaftlichen Repräsentation und dem Kampf, sondern eher als Ort der Eigenwirtschaft sowie der Verwaltung der zugehörigen Güter. Trotz aller Schwierigkeiten hat sich jedoch auch diese Datentabelle mit spannenden Informationen gefüllt. Als besonders wichtig erschien hier der Beruf des Bauingenieurs, welcher explizit für den Bau von Burgen und Festungen verantwortlich war. Dessen Wissen musste so umfangreich sein, als es nicht nur zeitgenössische Kriegsführung, sondern auch Geometrie, Mathematik und Geographie umfasste.
Der Hof als Arbeitgeber im Wandel
Nun galt es nur noch, die Aufgaben-Überschneidungen im Laufe der Zeit zu klären. An dieser Stelle erwies sich die Literatur zur Hoftheorie und -entwicklung als nützlich: Während es noch in der Renaissance an deutschen Fürstenhöfen wenig Distanz zwischen Vasallen, Landesherren und Bediensteten gab und die Etikette kaum vorhanden war, distanzierte sich die Herrschaft bis ins 18. Jahrhundert zunehmend vom Hofverband.
Die im von Prunksucht geprägten Barock sich ausweitende Etikette sorgte dafür, dass einige Berufe sich in mehrere Teilberufe aufspalteten. Das erklärt, warum bei verschiedenen Berufen ähnliche Tätigkeiten zu finden sind. Zudem mögen auch hier der jeweilige Standort sowie der Rang der residierenden Herrschaft ausschlaggebend gewesen sein. Im 19. und 20. Jahrhundert blieben die Nachfahren der Barockfürsten oft mit hohen Schulden zurück und mussten sparen – auch bei den Angestellten. So fielen einige Berufe wieder weg.
Und wozu das Ganze?
Ziel meiner Arbeit war, eine Übersicht rund ums Thema Berufe in Schlössen, Burgen und Gärten zur Orientierung zu erstellen, auf die bei Vermittlungsangeboten beispielsweise für Schulklassen zurückgegriffen werden kann. Die in diesem Blogbeitrag geschilderten Bemühungen, diese – durchaus noch nicht abgeschlossene – Übersicht anzufertigen, zeugen nicht nur von der Komplexität des Themas. Vielmehr stellen sie die Vielseitigkeit des Alltags und Berufslebens an Schlössern, Burgen und Gärten dar.
Und diese Vielseitigkeit zu durchforsten, kann durchaus Spaß machen. So lernt man, dass als „Truchsess“ jemand bezeichnet wurde, der der Herrschaft an der Tafel aufwartete, dass man als Küchenjunge das Kochen anfänglich durch Bespicken von Fleisch erlernte und dass der Mundschenk, derjenige also, der die Getränke ausschenkte, zerbrochenes Geschirr selbst bezahlen musste. Diese Vielseitigkeit birgt ein enormes Potential, aus welchem für lehrreiche Veranstaltungen und Angebote je nach Standort geschöpft werden kann.
Zum Vertiefen
- Zedler-Lexikon Online (zuletzt abgerufen am 15.08.2022)
- Amman, Jost, 1975 (1567): Das Ständebuch. 133 Holzschnitte mit Versen von Hans Sachs und Hartmann Schopper, hg. v. Lemmer, Manfred, Leipzig: Insel-Verlag.
- Müller, Reinhold/Vetters, Dieter M./Göschel, Detlef, 2001: Im Dienste Sachsens. Zur Geschichte der Uniform und reglementierten Dienstbekleidung sächsischer Institutionen, Dresden: Verlag der Kunst.
- Mythos Burg. Eine Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg. 8. Juli bis 7. November 2010, hg. v. Grossmann, Ulrich, Dresden: Sandstein Verlag.
Unsere Praktikantin Luisa Heilmann konnte in den vergangenen Monaten das fiktive Leben in Highclere Castle gegen das echte Leben auf Schlössern und Burgen tauschen und somit ihre große Serienleidenschaft bestens mit wissenschaftlicher Expertise verknüpfen.