Hinter den Kulissen

Kultur erklären ohne darüber zu sprechen

Stefanie Schuster /

Von der Herausforderung eine Führung durchzuführen, bei der ein roter Faden nicht immer zu halten ist. Mit der Führung „Schlüssel zum Geist. Kultur erleben – trotz Demenz!“ wollen wir Menschen mit demenziellen Veränderungen kulturelle Teilhabe ermöglichen. Gedanken zum Welt-Alzheimer-Tag.

Warum Vermittlung für Menschen, die alles vergessen?

Gerade in den letzten Monaten der Corona-Krise ist deutlich geworden, wie wichtig sozialer Zusammenhalt für jeden Einzelnen, aber auch für das Funktionieren der Gesellschaft ist. Kulturelle Teilhabe ist ein wichtiger Baustein für das gesellschaftliche Zusammengehörigkeitsgefühl und setzt Teilgabe voraus. Menschen mit Demenz haben besondere, sehr individuelle Bedürfnisse. Häufig treten Dysfunktionen im sprachlichen Bereich, im Denken und Handeln, im Verarbeiten von Erlebnissen und im Bewegen auf. Oft entwickeln Betroffene aber auch eine relativ große Offenheit, das auszudrücken, was sie denken, fühlen und wünschen.

Anders als Therapeuten und Alltagsbegleiter kann ich mich als Kunstvermittlerin im Vorfeld der Veranstaltung aber nicht über die individuellen demenzbedingten Beeinträchtigungen informieren. Besucherinnen und Besucher, die eine Veranstaltung buchen, legen in der Regel keine Krankenakte vor. Bei jeder Führung muss ich in der konkreten Begegnung situativ die individuellen Möglichkeiten der Besucherinnen und Besucher erkennen, um sie in der Vermittlungssituation ansprechen zu können.

Wie lässt sich Kunst und Kultur kommunizieren, ohne darüber zu sprechen?

Aufgrund der durch Demenz gegebenen kognitiven Beeinträchtigung braucht es spezifische Zugangswege zum Werk oder zum Objekt, die den Besuchern gerecht werden. Grundsätzlich auszuschließen sind wissensbasierte Zugänge. Geeigneter sind dagegen Methoden, in denen sinnliche und erlebnisorientierte Formen der Kunst- und Kulturvermittlung im Vordergrund stehen. Ästhetische Erfahrungen, die an frühere sinnliche und körperliche Erlebnisse anknüpfen sind in besonderer Weise geeignet, soziale Interaktionen zu fördern. Diese emotionale Zugänglichkeit kann in der Kulturvermittlung gut genutzt werden, denn in der Regel haben Kunstwerke und kulturelle Orte immer auch eine emotionale Wirkung.

Die Vermittlung sollte an sinnliche Erfahrungen anknüpfen, erlebnisorientiert und interessengeleitet sein, sie solle Neugierde fördern und die Besucher dazu anregen, ihren Wahrnehmungen durch Geschichten und Assoziationen Gestalt zu geben. Assoziationen können durch verschiedene Schlüsselreize angetriggert werden. Dies können Lieder, Gedichte oder verschiedene unterstützende Materialen wie Stoffproben, Repliken oder Kost- und Riechproben sein.

 

„Ich hatte auch ein Samtkleid“

Soweit in der Theorie. In der Praxis bin ich – sind sicherlich die meisten Kunst- und Kulturvermittler – anders trainiert. Wir können Kunst, Architektur und Akten erklären, Fakten vermitteln und Geschichten erzählen. Im besten Fall haben wir einen roten Faden, der aus einer Führung eine runde Geschichte macht. Wir spielen mit Andeutungen und wissenschaftlichen Exkursen. Aber in einer Vermittlungssituation mit demenziell veränderten Patienten ist das ganz anders. Mit verschiedenen Materialien versuche ich Schlüsselreize auszulösen und verborgene Erinnerungen zu wecken. „Ich hatte auch ein Samtkleid“, sagte eine Dame mit leuchtenden Augen beim Fühlen eines glänzenden Samtstoffs. In Betrachtung der Gondel im Pillnitzer Park kann man auch mal abschweifen in Reiseerinnerungen, die Jahrzehnte zurückliegen. Auch das spontane Singen eines Kinderlieds kann Teil der Vermittlung sein. Plötzlich können Fragen auftauchen, an die ich bisher nicht gedacht habe.

Für mich ist das Aushalten der Stille, die Pause zwischen einer Frage und der Reaktion der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die schwierigste Übung. Allzu schnell kann ich eben diese Stille nicht aushalten und gebe die Antwort selber oder gehe weiter im Text. Aber genau das ist die Kunst und Schwierigkeit: das Aushalten von Stille und das Zulassen von intuitiven Einwürfen und Emotionen, die eben den roten Faden etwas verwirren, aber die gesamte Vermittlung zu einem Geben und Nehmen für die Menschen mit Demenz, aber auch für mich als Vermittlerin machen.

Info: Zum Welt-Alzheimer-Tag im Albertinum Dresden, wo für Betroffene und Interessierte eine große Informationsveranstaltung stattfindet, bietet das Schloss Pillnitz für Menschen mit demenziellen Veränderungen die Möglichkeit an, sich künstlerisch zu betätigen. Im Frühjahr 2021 soll im Schloss Pillnitz ein offenes Begegnungs-Atelier für Menschen mit Demenz eröffnet werden.

Von Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen hat unsere Pillnitzer Kulturvermittlerin Stefanie Schuster selbst viel lernen können.


Letzte Änderung: 24.01.2020

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