Was wir über sie (nicht) wissen
Eine runde Öffnung im Brustbereich der unbekannten Schönen gibt uns einen Hinweis auf ihre ehemalige Funktion. In der Nähe ihres Herzens verwahrte sie eine Reliquie – das Überbleibsel einer Heiligen. Das konnten Knochen, Kleidungsstücke oder Gegenstände sein, die im engen Kontakt mit den Heiligen waren und denen bis heute wunderwirksame Kräfte zugesprochen werden. Ansonsten gibt die Figur Rätsel auf. Welche historische Frau uns als Abbild vorgestellt wird, ist bisher unbekannt. Ein Attribut, ein charakteristisches Symbol, das die junge Dame kennzeichnen würde, fehlt. Seit wann und aus welchen Gründen die Skulptur auf die Burg Kriebstein gekommen ist oder ob sie bereits zu ihrer mittelalterlichen Ausstattung gehörte, bleibt wohl auch zukünftig verborgen. Mit einer technologischen Untersuchung ist es hingegen möglich, neue Erkenntnisse zur Entstehung und Beschaffenheit des Objektes zu erzielen. Doch schauen wir zuerst auf ihre glanzvolle Gestaltung.
Mehr ist mehr
Die Büste mit feinen Gesichtszügen und bekröntem Haupt besticht vor allem durch ihr prächtig gestaltetes Gewand. Dominierend sind hierbei umfangreiche Blattmetallauflagen. Ihr gesamter Mantel und die Krone sind mit Blattgold belegt, welches ehemals hochglänzend poliert war. Zwischgold, eine Kombination von Blattgold und Blattsilber, findet sich am Sockelprofil und ihren Haaren. Das Gewand imitiert mit einer gemusterten Brokatauflage eine teure Stofflichkeit und ist zusätzlich ebenfalls mit Zwischgold belegt. Kontrastierend setzen sich dazu matte, blaue Farbflächen aus dem kupferhaltigen Pigment Azurit ab. Wer genau hinschaut, kann am Saum des Mantelinnenfutters zudem noch gemalte Blumenornamente erkennen.
Die runde Öffnung in ihrer Brust ist mit einer leuchtenden roten Farbigkeit ausgelegt, die einst den Hintergrund für die heute verschollene Reliquie gab. Abgedeckt war diese wohl mit einer kleinen Platte aus Bergkristall, um die Reliquie betrachten zu können.
Trotz 500 Jahren gut in Schuss
Die vollplastische Skulptur ist auf einem profilierten Sockelbrett montiert. Dieser Sockel ermöglichte wohl ein Tragen der Figur und ihre öffentliche Präsentation. Die Schnitzerei aus Laubholz wurde fein und detailliert umgesetzt. Auf dem Kopf der Heiligen ruht eine Krone, die wir uns noch ausladender vorstellen müssen. Die filigranen Kronenblätter fehlen jedoch. Der Bildträger und die farbige Bemalung der Entstehungszeit haben sich dennoch bis heute unverändert erhalten. Wenn auch gealtert, zeigen sie doch einen Blick zurück in vergangene Zeiten. So steht die kühle Farbigkeit des Gesichtes mit geröteten Wangen und die sehr hohe Stirn für das Schönheitsideal der Zeit um 1500.
Aufgrund stilistischer Übereinstimmungen mit den Figuren des Flügelaltars der Kirche in Dresden-Briesnitz könnte unsere Heilige in einer Dresdner Werkstatt entstanden sein. Einem bestimmten Künstler lässt sie sich nicht zuschreiben. Aber es konnten neue Erkenntnisse zu verwendeten Materialien gewonnen werden.
Erkenntnisse, die unter die Haut gehen
Mittels kleiner Materialproben wurde der genaue Schichtenaufbau der Bemalung mikroskopisch untersucht. Zusätzliche Analysen des hochschuleigenen archäometrischen Labors liefern zukünftig weitere Informationen zu den verwendeten Materialien und Pigmenten. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Forschungsdatenbank arsligni ein, die zukünftig eine umfassende Darstellung der spätmittelalterlichen Kunst in Sachsen und der angrenzenden Regionen geben soll. Bereits zu Beginn war klar, dass wir mit der schönen Heiligen ein, für den sächsischen Raum, wahrlich einmaliges Objekt antreffen. Eine weitere Darstellung dieser Art hat sich auf dem Gebiet des heutigen Freistaates nicht erhalten.
Tino Simon ist Restaurator und Spezialist für spätmittelalterliche Bildwerke in Sachsen. Die kunsttechnologische Untersuchung der Kriebsteiner Reliquienbüste fand im Rahmen einer Kooperation des Studiengangs Restaurierung der Hochschule für Bildende Künste Dresden mit der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gGmbH statt.