Histories

Eine himmlische Irrfahrt auf Burg Stolpen

Jens Gaitzsch /

Wandmalerei von Phaeton als Lenker des Sonnenwagens
Wer hat nicht schon einmal davon geträumt: Mit dem Wagen des Vaters eine rasante Spritztour machen. Das gab es schon in der Antike. Ein kunsthistorisches Detail auf Burg Stolpen erzählt von der tragischen Geschichte.

Ein waghalsiger Vaterschaftstest

Im Olymp versammelten sich die Götter, tranken Nektar und verzehrten die Speise, die sie unsterblich machte: Ambrosia. Und nachts stellten die Herren Götter, beargwöhnt von ihren Frauen, irdischen (sterblichen) Schönheiten nach. Das tat auch der römische Gott der Sonne Phoebus (griechisch Helios), der mit Clymene einen Sohn gezeugt hatte. Als junger Mann wollte Phaeton, so sein Name, seine göttliche Abstammung bestätigt haben. Die Mutter schickte ihn zum Sonnengott gen Osten. Nach langer Reise durch Äthiopien und Indien dort angekommen, überwältigte und blendete ihn der strahlende Glanz des väterlichen Palastes. Phoebus freute sich, seinen Sohn zu sehen. Leichtfertig gewährte er Phaeton einen Wunsch. Der dachte nicht lange nach: Er wolle einen Tag lang den Sonnenwagen lenken. Jeder auf der Erde könne so sehen, dass er der Sohn des Sonnengottes war. Phoebus erschrak und versuchte es seinem Sohn auszureden: Die vier feurigen Rösser waren nur allein von ihm einigermaßen zu bändigen! Doch Phaeton schlug alle Warnungen in den Wind.

 

Mit Vollgas in den Untergang

So kam es, wie es kommen musste. Sehr bald verlor Phaeton die Kontrolle über die wilde Fahrt. Außer Rand und Band wichen die Pferde vom Weg ab und kamen Himmel und Erde viel zu nah. Die Tiere der Tierkreiszeichen am Firmament bedrohten ihn und auf der Erde brach Feuer aus. Bis die Zerstörungen ein apokalyptisches Ausmaß annahmen. So soll dabei die verbrannte und lebensfeindliche Sahara entstanden sein. Die Mutter der Erde Ceres rief den Göttervater Zeus an, der das Geschehen nur mit Gewalt beenden konnte: Er schleuderte seinen Blitz gegen den Wagen, zerschmetterte ihn und tötete Phaeton. Weit im Westen fielen Wagen, Pferde und der unglückliche Wagenlenker vom Himmel in einen Fluss.

Nymphen bestatteten den vom Blitz angesengten Leichnam. Auf seinem Grabstein stand: „Hier ruht Phaeton, der Lenker des väterlichen Wagens. Er konnte ihn zwar nicht halten, aber er starb als einer, der Großes gewagt hat“. Der Vater verhüllte vor Gram sein Haupt und mitten am Tag wurde es dunkel. Die Mutter eilte mit ihren Töchtern zum Grab des Sohnes und Bruders. Sie beweinten ihn viele Monate lang. Bis sie sich in Pappeln verwandelten. Doch die Tränen versiegten auch dann nicht. Immer wenn ein Lichtstrahl des Sonnengottes auf eine Träne traf, verwandelte sie sich in Bernstein.

Die tragische Fahrt geht in die Kunstgeschichte ein

So berichtet es der römische Dichter Ovid, der um Christi Geburt sein Hauptwerk, die Metamorphosen, veröffentlichte. Darin wurden die alten (griechischen) Sagen reich ausgeschmückt neu erzählt. Die Renaissance („Wiedergeburt“) erinnerte sich der klassischen Antike und nahm sie auf. Phaetons apokalyptische Irrfahrt avancierte zum Sinnbild und Warnung vor Selbstgefälligkeit und -überschätzung. Große Meister der Kunstgeschichte wie Michelangelo oder Rubens haben das Thema verewigt. In manchem Fürstenpalast finden sich Darstellungen von Phaetons Sturz. So auch auf der Burg Stolpen, die der sächsische Kurfürst August ab 1559 zum Renaissance-Schloss ausbauen ließ. Reich wurden die Räume des Schlosses vom Hofmaler Heinrich Göding ausgestaltet. Fragmente davon haben sich im Seigerturm erhalten. Erstmalig konnte hier nun, vermittelt durch zwei Kunstwissenschaftlerinnen, die fragmentarisch überlieferten Darstellungen der Sage von Phaetons himmlischer Irrfahrt identifiziert und beschrieben werden.

 

Jens Gaitzsch ist Museologe auf der Burg Stolpen und sieht sich eher in der (väterlichen) Rolle des Bewahrers. Er besitzt weder einen Porsche noch fährt er einen Phaeton.


Letzte Änderung: 24.01.2020

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