Histories

Der Fremdenführer von Kriebstein - eine Geschichte von Paul und Paula

Alexander Hänel /

Eine Schirmmütze mit dem Schriftzug „Museum“ ist seit langem Teil der Sammlung der Burg Kriebstein. Als herausragendes Meisterwerk der Hutmacherkunst kann sie bei weitem nicht bezeichnet werden. Warum also hebt man sowas auf? Ganz einfach: Die Mütze nimmt uns mit in die Anfangszeit des Museums der Burg Kriebstein und in das Leben von Paul und Paula.

Ein schweres Los

Das Leben hat es mit Paul Pfeifer und seiner Frau Paula nicht gut gemeint. Sie wohnen in Leipzig, mittlerweile in einer Laube in der Schrebergartensiedlung „Sommerhain“. Ihre Wohnung in der Lößniger Straße mussten sie verlassen, wahrscheinlich weil sie die Miete nicht mehr aufbringen konnten. Paul ist ein standesbewusster Briefträger – zumindest bis 1924. Dann wurde er „abgebaut“ – da ist er 43 Jahre alt. In den folgenden vier Jahren arbeitet er als Pförtner des Restaurants „Burgkeller“, bis er wieder arbeitslos wird. Es herrscht die Weltwirtschaftskrise und Arbeit findet sich keine. Er ist verzweifelt, doch 1935 schöpft er wieder Hoffnung. Auf dem Postamt liest er eine Annonce: Fremdenführer gesucht! Auf Burg Kriebstein!

Die Anfänge des Museums

Die Burg Kriebstein mit ihrer romantischen Lage im Zschopautal lockt bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Touristen an. Neugierige können sich ab 1930 durch die Burg führen lassen. Ein richtiges Museum im heutigen Sinne ist die Burg zu dieser Zeit allerdings noch nicht. Die Besitzer der Burg, die Familie von Arnim, sind 1924 auf das nahe gelegene Rittergut umgezogen. Dort lässt es sich komfortabler leben. Gleichzeitig öffnen sie einen Teil der Räume in der Burg Kriebstein für Interessierte und können so zusätzliche Einnahmen generieren.

Ein Fremdenführer lässt die Besucher ein und begleitet sie auf ihren Rundgang. Dabei erzählt er Wissenswertes über die Geschichte der Burg. Die Führung dauert eine halbe Stunde und kostet 50 Pfennige. Die Saison läuft von Mai bis Oktober.

Viel Arbeit, karger Verdienst

Sofort schreibt Paul Pfeifer eine Bewerbung. Doch eine Zusage lässt auf sich warten, er wird hingehalten. Fast zwei Jahre bangen Wartens vergehen, bis er im Februar 1937 endlich die Stelle bekommt. Im März zieht er mit seiner Frau Paula und einer Ziehtochter auf die Burg. Gemeinsam bewohnen sie drei Zimmer mit Küche. Von der Gartenlaube auf die Burg, was muss das für ihn bedeutet haben!

Als Lohn erhält er 10 Prozent der Eintrittsgelder. War das viel? Naja, bei einem jährlichen Umsatz von 7.000 bis 8.000 RM waren das 700 bis 800 RM – kein allzu üppiges Gehalt, bedenkt man, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen im Deutschen Reich bei 2.156 RM lag. Zudem fallen Einnahmen nur während der Saison an. Damit lassen sich keine großen Sprünge machen. Dafür wohnen die Pfeifers mietfrei, bekommen jährlich 50 Zentner Kohlen und 12 Zentner Kartoffeln on top.

Neben den Führungen sorgt das Fremdenführerehepaar für Ordnung und Sauberkeit auf der Burg, sie reinigen und reparieren. Zu tun gibt es immer. Und sollte der Burgbesitzer anwesend sein, verrichten sie auch für diesen kleinere Dienste.

 

 

Pauls geheime Mission

Der Zweite Weltkrieg war ein schwerer Einschnitt für das Leben auf der Burg Kriebstein. Ab 1942 schließt das Museum. Die alten Mauern dienen nun als Auslagerungsort für Kunstwerke aus den Staatlichen Sammlungen Dresden und Paul Pfeifer kümmert sich um die Sicherheit des Bergungsgutes. Sein Auftrag ist streng geheim, niemand darf etwas über die versteckten Museumsschätze wissen.

Ein bitterer Abschied

Als der Krieg vorbei ist, müssen Paul und Paula Pfeifer die Burg verlassen. Paul trat 1939 in die NSDAP ein, ob aus tiefer Überzeugung oder als Mitläufer ist schwer zu sagen. Im Zuge der Entnazifizierung entfernen ihn die neuen Machthaber von seinem Posten und von seiner Burg. Paul und Paula ziehen zunächst ins nahe gelegene Höfchen, später für kurze Zeit nach Dresden und dann zurück nach Leipzig, wo Paul am 3. Oktober 1966 und nur wenige Wochen nach ihm Paula verstirbt. Sichtbare Spuren ihres Lebens auf der Burg gibt es keine. Nicht einmal ein Foto hat sich erhalten. Was bleibt ist nur die alte Fremdenführermütze als Zeugnis für die Zeit von Paul und Paula auf Burg Kriebstein.

Alexander Hänel ist Museologe auf der Burg Kriebstein und führt Besucher und Besucherinnen durch das Museum. Eine Mütze trägt er dabei nicht.


Letzte Änderung: 24.01.2020

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