Schöne Frauen erregten schon immer Aufsehen. Und wenn sie dann auch noch ein aktives Bedürfnis hatten aufzufallen und Beachtung zu erfahren, dann ist der Weg nicht weit zur Gräfin Cosel. QUAM SESE ORE FERENS (wie sie sich vorstellt) überschrieb ein Künstler sein Bildnis der Gräfin. Er wollte damit wohl auch betonen, wie wichtig es seinem Modell gewesen war, sich zu präsentieren, sich für die Öffentlichkeit zu zeigen.
Perfekt für Tratsch und Klatsch

Man kann sich sicher sein: In unserer medial aufgeladenen Zeit hätte die Gräfin Cosel ideale Voraussetzungen gefunden, sich in Szene zu setzen. Die Klatschblätter würden sich darin überbieten, Geschichten aufzubauen, zu überhöhen oder skandalisierend auszuschlachten, vielleicht sogar zu erfinden. Zumal wenn es sich um die vermeintlich großen Themen handelte: kometenhafter Aufstieg und abgrundtiefer Fall, scheinbar grenzenlose Macht und hinterhältige Intrigen, Glücksseligkeit und quälende Einsamkeit, luxuriöser Wohlstand und erbarmungsloses Schicksal. Das war vor 300 Jahren nicht anders als heute. Nur die Geschwindigkeit und die medialen Wege waren andere.
Königliches Liebesleben
Die Erinnerung an die Gräfin Cosel verdanken wir den Literaten. Schon zu ihren Lebzeiten ging das los: Carl Ludwig von Pöllnitz veröffentlichte 1734 sein Galantes Sachsen, ein Buch, das noch heute verlegt wird. Dass das Liebesleben eines Königs so in die Öffentlichkeit gebracht wurde, war zu seiner Zeit ein Skandal. Preußen, ein Rivale auf der großen Bühne der europäischen Mächte, erlaubte 1784 eine Nachauflage unter dem Titel: Liebschaften König Augusts von Polen. War 50 Jahre zuvor noch ein braver Kupferstich mit einer Ansicht Dresdens als Titelblatt verwendet worden, zeigt der Kupferstich nun die nackte Cosel, wie sie aus dem Bette springt und dem König einen Brief aus den Händen reißt. Es soll sich dabei um die rasend eifersüchtige Gräfin handeln, die, selbst im Wochenbett liegend, ahnt, dass der verlegen-errötende König soeben die Nachricht von der Geburt einer Tochter in Warschau erhielt, die ihm die Weinhändlertochter Henriette geschenkt hatte. Furios entstieg die Gräfin dem Bette. Dabei entblößten sich ihre Beine bis hinauf in unschickliche Regionen. Nach heutigem Ermessen wäre von Nacktheit keine Spur. Damals, als die Lüsternheit bereits oberhalb des Knöchels begann, waren Aufmerksamkeit und Aufregung vorprogrammiert und wohl auch zielgerichtet eingesetzt; wirksames Marketing eben.

Rückkehr nach Dresden
August der Starke war ein schillernder Fürst und König. Er lebte in einer Epoche, in der Darstellung und Außenwirkung der Höfe ein wesentliches Moment im Ränkespiel der europäischen Mächte war. Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld waren den Sachsen (wohl glücklicherweise) nicht vergönnt, als Feldherr konnte August nicht punkten. Und auch das Landesterritorium, das wohl größer als heute, doch immer noch eher klein war, bot nicht genug Aufmerksamkeitspotential. So blieb, auf der Basis einer innovativen Wirtschaftskraft, das Feld der Künste und Inszenierungen. Wovon Sachsen noch heute zehrt. An der Seite des Königs die markante und aufsehenerregende Gräfin Cosel. Was ihr zu Lebzeiten nicht vergönnt war, ihre offizielle Krönung, schaffte sie indirekt durch die mythische Überlieferung: Den Namen der rechtmäßigen Kurfürstin Sachsens und Königin Polens hat sie (fast) völlig verdrängt. Sie ist heute in der öffentlichen Wahrnehmung die Frau schlechthin an der Seite Augusts des Starken. Drei Jahrhunderte nach ihrer Ausweisung vom Hof kehrte die Gräfin Cosel als repräsentatives Bildnis, das sie in einem hermelingefütterten königsblauen Mantel zeigt, in die wiedereröffneten Paraderäume Augusts des Starken, in das Herzstück des Dresdner Schlosses, zurück. Wie das gelingen konnte, ist im Online-Beitrag "Mythos Gräfin Cosel" von Jens Gaitzsch nachzulesen.

Seit vielen Jahren widmet sich Museologe Jens Gaitsch der Erforschung von Burg Stolpen und der widersprüchlichen Geschichte rund um die Gräfin Cosel.