In den Niederlanden ein Bestseller und in Deutschland erfolgreich – auch ich habe dieses Buch mit großer Begeisterung gelesen, mit ganz besonderem Interesse natürlich die Passagen zum Schloss Weesenstein. Es wird das ereignisreiche Jahrhundert vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung detailreich am Beispiel einer deutschen Familie, den Grunewalds, erzählt. Weil dabei eine angeheiratete Schlossverwalterin eine Rolle spielt, kommt Weesenstein mehrfach vor.
Der vielversprechende Titel
Mit dem Buchtitel ist leider nicht der Wintergarten von Schloss Weesenstein gemeint. Den Namen gab vielmehr der Wintergarten eines Hauses in Weinböhla bei Dresden, dem Wohnort der Schwiegermutter des Autors. Im dortigen Keller lagert das Familienarchiv – die umfangreiche Quelle für das Buch. Dieses besteht aus Dokumenten, Fotografien, Briefen, Tagebüchern, Geschäftsunterlagen und so weiter.
Der erfolgreiche Autor ist der Niederländer Jan Konst. An der Freien Universität Berlin lehrt er als Professor am Lehrstuhl für Niederländische Philologie und Literatur. Seine Veröffentlichungen beschäftigen sich mit der frühmodernen Literatur, den niederländisch-deutschen Literaturbeziehungen und der niederländischen Gegenwartsliteratur. Die Mutter seiner Ehefrau öffnete für ihn das Familienarchiv.
Geschichtsstunde der besonderen Art
Den einzelnen Kapiteln stellt der Autor markante Zeitereignisse voran. Danach folgen jeweils die persönlichen Erlebnisse der Familienmitglieder. Ausgehend von der Familie in Seifhennersdorf schreitet die Geschichte über die Orte in Meißen, Weesenstein und Weinböhla fort. Überzeugend ist zum einen die dokumentarische Erzählweise und zum anderen die vorsichtige Deutung der Gefühle der Menschen, wenn zum Beispiel die Blicke bei Familienaufnahmen oder das Ambiente bei Hochzeitsfotos ausgewertet werden. Das Ergebnis ist eine anschauliche Alltagsgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Im Vorwort schreibt Jan Konst selbst über die Großmutter seiner Ehefrau: „Man nehme nur Hilde ... Sie wird 1902 geboren und stirbt fast hundert Jahre später im Jahr 2001. Hilde wächst unter Kaiser Wilhelm II. heran, heiratet in der Weimarer Republik und bekommt ihre Kinder während der Nazidiktatur … Auch dieses Familienmitglied wird nicht in die Geschichtsbücher eingehen, aber man kann behaupten, dass sich Hildes kleines Leben vor der Kulisse der ganz großen Geschichte abgespielt hat.“
Hanna & Hanns
Um bei den komplizierten Familienverhältnissen nicht den Überblick zu verlieren, hilft am Anfang des Buches ein Stammbaum. Es handelt sich um vier Familienzweige, vier Generationen und vier Ehen.
Hanna und Hanns Reinhard gehören zu einer der vier Generationen, die in dem Buch eine Rolle spielen. Hanna aus dem Familienzweig der Grunewalds heiratet Hanns, den Sohn der Weesensteiner Schlossverwalterin Helene Reinhard. Am 27. Mai 1933 wurde die Hochzeit im schönen Müglitztal gefeiert.
... und Weesenstein
Bei den Geschichten um Weesenstein finden auch die Kunstauslagerungen und das legendäre Weinlager im Zweiten Weltkrieg, das Siegesfest der Roten Armee und die Gewalt der russischen Soldaten Erwähnung.
Manche der zahlreichen Besucher des Schlosses Weesenstein kommen extra wegen dieses Buches zu uns ins Müglitztal. Sie haben die spannende und vielschichtige Familiengeschichte gelesen und möchten nun diesen Ort, der in den Erzählungen genannt wird, kennenlernen. Wir freuen uns darüber und empfehlen das Buch weiterhin als spannende Lektüre!
PS: Wer den titelgebenden Wintergarten sehen möchte, findet ihn in diesem Trailer zum Buch "Der Wintergarten" auf vimeo.com.
Dr. Birgit Finger ist Kunsthistorikerin und arbeitet als Museologin im Schloss Weesenstein. Sie ist gespannt auf dieses Jahr, wenn Jan Konst bei einem Geschichten-Frühstück in Weesenstein sein Buch vorstellt.