Fragen über Fragen
Schloss Colditz ist vor allem für seine Geschichte als Kriegsgefangenenlager im Zweiten Weltkrieg berühmt. In zahlreichen Büchern und Überlieferungen lässt sich diese Phase der Schlossgeschichte bestens nachvollziehen. Aber was spielte sich in den Jahrzehnten danach in den Räumen ab? Ab Frühjahr 2024 wollen wir in einer neuen Dauerausstellung die gesamte Schlossgeschichte abbilden. Wie bekommen wir Antworten zu der Zeit nach dem Krieg?
Was uns bekannt ist: Das gesamte Schloss wurde ab 1946 als Anstalt für die Versorgung von Alten und psychisch Kranken genutzt, wie das auch vor dem Krieg der Fall war. Das Schloss wurde zu DDR-Zeiten aber auch als „Krankenhaus“ bezeichnet. Details sind nahezu unbekannt. Archivalien gibt es kaum. Wurde ein Teil der Schlossanlage als Krankenhaus genutzt? Wo lag dieser Teil? Welche Stationen gab es? Und wie sah der Krankenhaus-Alltag aus?
Glücklicher Zufall
Eines Tages lernte ich im Schlosshof zufällig Hannelore Linke kennen. Sie erzählte mir, dass sie ihr gesamtes Arbeitsleben im Schloss verbracht hatte. Flüchtig erläuterte sie alle Stationen des Krankenhauses und stellte mein Wissen ziemlich auf den Kopf. Keine Schriftquelle konnte mir als Colditzer Museologin so etwas bieten! Da wir gerade die neue Dauerausstellung zur Schlossgeschichte planten, war es die Gelegenheit, Oberschwester Hannelore auf Video zu bannen – und ihre Erinnerungen festzuhalten.
Kurz darauf öffnete sich mir eine zweite Quelle, als ich durch Zufall den Dresdner Robert Thiele kennenlernte. Dieser leistete 1990/91 in Colditz seinen Zivildienst auf einer Männerstation mit geistig Behinderten. Damit hatten wir zwei Zeitzeugen gefunden, die aus unterschiedlichen Positionen heraus Einblicke geben konnten: Eine Dame, die Jahrzehnte im Schloss verbrachte und in gehobener Stellung Lenkungsfunktionen innehatte. Und ein Zivi, der nicht in alle Prozesse eingebunden war. Aus der besonderen Situation des Jahres 1990 heraus, hinterfragte er die Lage im Haus kritischer.
Und Action!
An einem Sommertag 2022 geht es los. Der Tag beginnt mit dem Aufbau von so einigen Lampen und Kameras. Damit können wir aus mehreren Blickwinkeln filmen. Beide Zeitzeugen sprechen jeweils eine Stunde. Sie erzählen selbstständig und ungefiltert von ihrer Zeit als Krankenschwester und Pfleger. Mit nur wenigen Fragen haben wir sie dabei unterstützt. Begegnet sind sich Frau Linke und Herr Thiele nicht. Denn dann wäre das Ergebnis ein anderes geworden.
Ihre Sicht auf das Haus ist durchaus differenziert. Frau Linke schaut im Rückblick auf ihr gesamtes Arbeitsleben, auf das sie stolz sein kann. Für Herrn Thiele ist es ein herausgehobenes Jahr, vermischt mit den Erfahrungen der Wende. Mit einem kritischen Blick beurteilt er die eingefahrenen Anstaltsabläufe, welche für die Pfleglinge nicht immer nur Gutes bedeuteten.
"So war es!...Oder?"
Zeitzeugen können uns von geschichtlichen Ereignissen berichten, weil sie zu dieser Zeit gelebt haben. Damit sind sie wertvolle Quellen – vor allem für die Alltags- und Erinnerungsgeschichte. Zeitzeugenberichte vermitteln uns ein lebendiges Bild der Vergangenheit. Sie geben einen persönlichen Eindruck von erlebter Geschichte. Die Methode, Zeitzeugen zu bestimmten Ereignissen zu befragen, nennt sich "Oral History" – wörtlich übersetzt "mündliche Geschichte".
Bei Lust auf mehr Zeitzeugeninterviews, lohnt sich ein Blick auf das Zeitzeugenportal der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Allerdings ist damit auch kritisch umzugehen. Die Erinnerungen von Zeitzeugen sind immer subjektiv. Erinnerungen können sich mit der Zeit verändern, bruchstückhaft sein oder überformt werden. Sie haben deshalb keinen umfassenden Wahrheitsanspruch. Eine Auswertung kann ganz schön knifflig sein. In unserem Fall ist es wichtig, die Aufnahmen dem Besucher vor allem als Interview kenntlich zu machen. Die Aussagen müssen geprüft und richtig eingeordnet werden. Ein aufmerksamer Umgang mit dem Erinnern ist gefragt.
Durch das Zuhören und Befragen unserer Zeitzeugen, konnten wir genaueres Bild der Schlossgeschichte nach dem Krieg zeichnen. Die Filmaufnahmen werden im zukünftigen Museum ab 2024 von der DDR-Zeit im Schloss berichten. Und dem Besucher einen lebhaften Einblick vermitteln – aus erster Hand sozusagen.
Museologin Regina Thiede freut sich über die Filmaufnahmen, die im zukünftigen Museum die DDR-Geschichte von Schloss Colditz beleben werden und bedauert nur, dass Sie keine Interviews mit den Hofbediensteten des Kurfürsten drehen kann.