Ein brillanter Coup
Ich hätte nie vermutet, dass ich es beruflich mal mit den Filmen meiner Kindheit zu tun bekomme. Falsch gedacht! Ein Leipziger Privatsammler von Olsenbandedevotionalien brachte mich darauf, dass die Herren am Tisch von Yvonne (mit dem Margeritendekolleté) von Colditzer Porzellan speisen, wenn sie ihren nächsten Coup planen. Dass die Form „Brillant“ heißt, fand ich einigermaßen schnell heraus. Schwieriger war es, ein Stück dieser Serie zu bekommen und noch schwieriger, den blauen Dekor zu bestimmen. Aber diese Fragen drängten zur Bearbeitung einer lange überfälligen Baustelle: ungefähr 100 große Kisten voller Colditzer Porzellan in eine sinnvolle Ordnung zu bringen.
100 Kisten Porzellan
Kurz vor dem Abriss des 1996 geschlossenen Porzellanwerks hatte ich Unmengen von Porzellan aus dem Colditzer cp-Werk geborgen. Nichts hatte sich seither mit diesen Stücken getan, außer dass sie in der Dauerbaustelle Schloss Colditz mehrfach umgelagert worden waren. Nun füllten die Kisten eine ganze Etage des Fürstenhauses und bei jedem Betreten des Ortes grauste mir vor dem Umfang dieser Aufgabe. Aber Colditz ist klein, man kennt nach 17 Jahren Tätigkeit eine Menge Leute und so hatte ich endlich Kontakt zu vier ehemaligen Porzellinern hergestellt: Hans Pikos, Gerhard Bitschnat, Elke Röntsch und Reinhard Richter.
Eine sehr persönliche Zeitreise
Als sie im Juni 2019 zu mir ins Schloss kamen, wollten wir eigentlich nur mal so gucken und uns überlegen, wie ein „Ordnen“ gehen könnte. Aber das Porzellan sehen und sich darauf stürzen waren eins. Es war wie das Betreten des alten Kinderzimmers oder das Finden eines persönlichen Dings auf dem Flohmarkt – mit großer Freude wurden die Nasen in die Kisten gesteckt und die Erinnerungen sprudelten nur so los. Vieles von den Formen hatten Reinhard Richter und Hans Pikos selber entworfen, vieles von den Dekoren hatte Gerhard Bitschnat entwickelt oder Elke Rönsch gemalt. Letzteres ließ sich an den spezifischen Maler-Nummern am Tassenboden erkennen. Und Herr Bitschnat fand sogar von eigener Hand gemalte Kannen mit Dekorentwürfen der 1970er und 1980er Jahre wieder, die Unikate sind und nie in Produktion gingen.
Mitropa
In der Folge trafen wir uns einmal wöchentlich für ein paar Stunden zum „Klassentreffen“ und ich konnte beobachten, welche Freude es ihnen machte und wie gerne sie kamen, um ihr Lebenswerk in eine Ordnung zu bringen. So wurde über Monate „Brillant“ von „rationell“ geschieden und „Format“ von „Türkis“. „Opal“ füllte fünf Kisten und „Onyx“ auch. „Akzent“ gab es in Unmengen und „rationell“ natürlich ebenso. Es ist ja die bekannteste Form – spätestens beim Stichwort „MITROPA“ weiß jeder Bescheid. Reinhard Richter hatte darüber viel zu berichten, hatte er doch den rationell-Entwurf eines Berliner Gestalterteams in Colditz um die Details einer nicht tropfenden Tülle und eines fester sitzenden Deckels bereichert. Schlussendlich fand sich in den Dekorbüchern auch das Olsenbandedekor, das nur für den Export nach Dänemark bestimmt war.
Mein Schatz
Ich als Museologin bekam einen Schatz geschenkt. 2005 hatte ich das untergegangene Porzellanwerk fotografiert. In manchen Räumen sah es aus, als hätten die Malerinnen gerade die Pinsel oder Abziehbilder fallengelassen. Die vertrockneten Kakteen standen auf ihren Plätzen, Urlaubspostkarten hingen an den Wänden, der Brennofen war noch gefüllt. Aber Fotos sind stumm. Jetzt füllten sich diese Bilder mit einem Kosmos von Erinnerungen und Geschichten. Sie bereichern meine Arbeit ungemein und geben mir die Hoffnung, dass eine zukünftige Ausstellung lebendig werden kann.
Regina Thiede arbeitet als Museologin auf Schloss Colditz und konnte inzwischen auch Tässchen und Teller des Colditzer Porzellans erstehen, das in Dänemark beim Film gelandet war.
Bildnachweis: Wir danken der A22 Media GmbH für die freundliche Bereitstellung des Titelbildes. Es stammt aus dem Film "Die Olsenbande sieht rot" (Dänemark: Bo Christensen 1976, Regie: Erik Balling). Eine Übersicht über alle erhältlichen Olsenbandefilme ist auf icestorm.de zu finden.