Flucht aus Colditz
Das Offiziersgefangenenlager für Westalliierte (Oflag IV C), das zwischen 1939 und 1945 im Schloss Colditz untergebracht war, beschert uns jedes Jahr tausende von „Weltkriegstouristen“ besonders aus Großbritannien und den Niederlanden. Deren Veteranen überhäuften uns in den vergangenen Jahrzehnten mit Stories, die in ihren Ländern Legenden der Militärgeschichte sind. Gesammelt und verortet wurden sie nach und nach im „Fluchtmuseum“, das ursprünglich nur eine Objektsammlung der Wehrmacht war: Fluchthilfsmittel der Offiziere und Fotos der enttarnten Fluchten, gesammelt zu Schulungszwecken der deutschen Bewacher.
Mit dreckiger Wäsche in die Schweiz
Eine Geschichte ist folgende: Offiziersordonnanzen hatten jede Woche schmutzige Wäsche von einem Lagerraum im Schloss in eine Colditzer Wäscherei zu bringen. Natürlich wurden sie dabei von deutschen Wachmännern begleitet. Diese Truppe wurde von sechs britischen und niederländischen Gefangenen für einen Fluchtversuch imitiert. Die Männer verschafften sich Zugang zu Stabsfeldwebel Gebhardts Büro und schufen dort während einiger Nächte einen gut getarnten Durchbruch in das darunter gelegene Wäschelager. Am 9. September 1942 schlüpften sie in Kostüme von zwei deutschen Offizieren und vier polnischen Ordonnanzen und trugen die Wäsche aus dem Schloss. Leutnant Bill Fowler und Fregattenkapitän Damiaen van Doorninck entkamen und schafften es bis in die Schweiz. Die anderen vier wurden schon in der Nähe von Colditz wieder aufgegriffen. Das nachgestellte Foto zeigt einige Statisten, die mit der Wäsche das letzte Schlosstor passieren. Die Fluchtroute der beiden Holländer führte interessanterweise über die sogenannte „Singen-Route“. Das war ein Pfad, der sich in einem besonders unübersichtlichen Gelände zwischen dem deutschen Ort Ramsen und dem Schweizer Ort Singen an einem Bach entlangwand und auch einigen Emigranten und KZ-Flüchtlingen zur Freiheit verhalf.
"Frau" traut sich was
Eine andere tragische Geschichte eines Fluchtversuchs ist folgende: Der französische Leutnant Boulé wollte im Juni 1941 als Frau verkleidet fliehen. Seine Kleidung war in monatelanger Arbeit entstanden. Eine Perücke hatte ihm seine Frau ins Lager geschickt. Am Tag der Flucht begann das Täuschungsmanöver auf dem Weg in den Park, in dem die Gefangenen täglich spazieren durften. Boulé trug über dem Kostüm seinen Uniformmantel. In einer unübersichtlichen Kurve zogen ihm Kameraden den Mantel vom Leib, er setzte Perücke und Hut auf, drehte sich um und ging in entgegengesetzter Richtung fort. Dabei verlor er jedoch unbemerkt seine Armbanduhr. Ein anderer Gefangener, der von dem Fluchtversuch nichts ahnte, hob die Uhr auf und gab sie einem Wachmann mit dem Hinweis die Dame habe sie verloren. Der Wachmann ging also der „Frau“ hinterher. Boulé hörte ihn näherkommen, verlor die Nerven und gab auf. Nach diesem Vorfall sprachen sich die in jeder Nation verantwortlichen Fluchtoffiziere miteinander ab, um Komplikationen zu vermeiden und sich nicht gegenseitig zu behindern.
Letzte Änderung: 25.08.2020