Schloss Rochlitz – Geschichte in sechs Episoden

Achtung Lebensgefahr! – Die geheime Kammer der Fürstin

Aufregung macht sich breit, als im Frühling 1934 Arbeiter bei der Sanierung von Räumen des Rochlitzer Schlosses auf etwas Geheimnisvolles stoßen. Eigentlich sollten sie nur die alten Dielen in der Stube des Amtsrichters ersetzen. Doch was jetzt zum Vorschein kommt, versetzt alle Beteiligten in Erstaunen. Brett für Brett öffnet sich über die gesamte Raumlänge ein weiterer, ziemlich niedriger Raum, der nur durch einen schmalen Fensterschlitz belichtet wird. Eine Tür nach außen findet sich nicht. Nur eine verfallene Treppe, die ins Nichts führt. Was hat es auf sich mit dem Raum, der in keinem Grundriss zu finden ist?

Die bauhistorischen Spuren führen ins 16. Jahrhundert. In der bewegten Zeit der Reformation bewohnt die Fürstin Elisabeth von Sachsen Räume im Schloss. Von hier aus führt die streitbare Witwe ihren Kampf für den lutherischen Glauben. Tausende beherzte Briefe verlassen die Residenz an alle Parteien. Viele von ihnen sind verschlüsselt, denn der Inhalt ist brisant und in den falschen Händen hochgefährlich. Hochverrat kann tödlich sein. Hatte sich Elisabeth für ihr geheimes Archiv vorsorglich einen sicheren Raum geschaffen? Schriftliche Quellen gibt es hierfür nicht.

 

Abnehmen keine Option? – Der merkwürdige Tod des Markgrafen

Schwer ausgestattet ziehen die Ritter des Hochmittelalters in die Schlacht: Eine Jacke aus vielen Lagen Stoff, ebensolche Hosen, Kettenhemd, Helm, Schild, Schwert, Lanze – um nur die Grundausstattung zu nennen. Da kommen schon mal 20 Kilo(!) zusammen. Eine schwere Last, auch zu Pferd. Was bei der Witterung in hiesigen Breitengraden schon anstrengend ist, wird unter der Sonne Italiens schnell zur Qual.  

Das weiß auch Markgraf Dedo aus eigener Erfahrung. Zigmal hat er seinen Kaiser Heinrich IV. auf Feldzügen begleitet. Jetzt bereitet er sich auf einen neuen Romfeldzug vor. Doch dieses Mal ist anders. Dedo ist keine 25 Jahre mehr und hat zudem an Körperfülle zugelegt. Guter Rat ist teuer und die Zeit drängt. Doch Dedo hat eine Idee. Keine Gute, wie sich herausstellen wird.

Der Markgraf beauftragt einen Arzt, ihm kurzerhand das Fett aus dem Bauch zu schneiden. Eine fatale Entscheidung. Zwar können zeitgenössische Chirurgen Wunden versorgen, Brüche richten oder Körperteile amputieren, doch das Risiko ist enorm. Jede noch so kleine Wunde kann unter ungünstigen Umständen den Tod bedeuten. Der Markgraf überlebt den Eingriff nicht.

 

Narben am Turm

Es ist Samstag, der 30. Juli 1644. Kurz vor fünf Uhr früh. Der Dreißigjährige Krieg hält Europa schon 25 Jahre in Atem. Die Sonne ist kaum aufgegangen, als Kanonendonner die Idylle des erwachenden Tages zerstört. Geschosse fliegen durch die Luft. Kurz darauf kracht der steinerne Pfeiferstand vom oberen Geschoss des Nordwestturmes in die Tiefe. Es ist der sächsische Kurfürst Johann Georg, der persönlich den Beschuss befielt. Am Vortag war er mit fünf Regimentern und 14 Kanonen vor dem Schloss erschienen. Seit über einem Jahr wird das Schloss von einer kleinen schwedischen Mannschaft besetzt. Deren Kommandant lehnt die Übergabe aber ab. Mehr noch. Er beleidigt den Kurfürsten vom Wehrgang aus. Sau-Georg solle in sechs Wochen nochmal anfragen. Der Kurfürst kocht vor Wut.

 

Neun Uhr früh klafft ein großes Loch in der Nordmauer. Die Sachsen stürmen das Schloss. Nun bekommt es der schwedische Kommandant mit der Angst zu tun. Ohne weitere Gegenwehr gibt er auf. Doch mit Gnade kann er nicht rechnen. Noch am Abend hängen er, sein Proviantmeister und ein Trompeter, beide sächsische Überläufer, am Galgen. Vorher ließ der Kurfürst den frechen Kommandanten mit der Zunge an den Galgenbaum nageln. Kaum ein halbes Jahr später besetzen die Schweden wieder das Schloss. Erst am Kriegsende, im Frühling 1649, ziehen sie ab. Geblieben sind die Narben am Nordwestturm, die noch Generationen an den Beschuss und den furchtbaren Krieg erinnern, bis heute. Bei der Sanierung des Turmes wurden sie bewusst belassen.

Prinzenhände beschmieren ... Wände

Entdeckergeist macht sich breit, als bei der bauhistorischen Untersuchung einer der Haupträume im ehemaligen fürstlichen Wohntrakt mysteriöse Linien im Wandverputz erscheinen. Restauratoren und Wissenschaftler sind sich schnell einig: Die Spuren gelangten nicht zufällig in die Wand.

Verborgen unter zwölf Farbschichten finden sich zahlreiche in feinen Gipsputz eingeritzte Graffiti. Bewaffnete Ritter zu Fuß und zu Pferd, Kanonen, Wappen, eine Kirche, eine Stadt, Tiere, Schriftzüge und schließlich ein nackter König. Und das ist nur ein kleiner Teil. Doch wann sind die Graffiti entstanden und wer hat sie angebracht? Der Raum und sein Verputz entstanden im späten 14. Jahrhundert. Eine kleine Sensation! Derart alte Graffiti in fürstlichen Wohnräumen sind bisher nicht bekannt. Die Detektivarbeit beginnt.

Anhand der Farbschichten kann eine genaue Datierung nicht vorgenommen werden, weshalb die Motive gedeutet werden müssen. Was tragen die Ritter und vor allem, was sagen die Inschriften? Alles weist in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts. Doch wer hat sie angebracht und warum? Die Spur führt zu den Söhnen der Kurfürsten von Sachsen, die das Schloss zeitweise bewohnten. Hier erhielten sie ihre ritterliche Ausbildung. Einer von ihnen war der spätere Kurfürst und Luther-Retter Friedrich der Weise. Haben die jungen Herren ihren Alltag in die Wände geritzt?

Kriegsauslagerungen – der Papyrus in der Hundehütte

Im Herbst 1945 sind sowjetische Soldaten damit beschäftigt, eine Schutzhütte für die Wachhunde des gerade eingerichteten NKWD-Lagers zu bauen. Der sowjetische Geheimdienst nutzt Schloss Rochlitz bei der Ermittlung von NS-Kadern, -Kriegsverbrechern und Wehrwolfverdächtigen. Auf der Suche nach Baumaterial fallen den Rotarmisten zwei große verglaste Tafeln in die Hände. Sie eignen sich vorzüglich als Boden für die Hütte. Auf die unter dem Glas hervorleuchtenden Schriftzeichen achtet niemand. Die Soldaten ahnen nicht, dass es sich bei den Tafeln um Teile einer uralten ägyptischen Schrift, dem Papyrus Ebers, handelt.

 

Papyrus Ebers ist eine der ältesten erhaltenen medizinischen Schriften der Welt. Die Sammlung verschiedener Krankheiten und deren Behandlung wurde vor circa 3.600 Jahren in Ägypten geschrieben. Sie überdauerte die Zeit wahrscheinlich als Grabbeigabe. 1873 erwarb der Leipziger Ägyptologe Georg Ebers die knapp 20 Meter lange Schriftrolle in Theben. In handliche Stücke zerteilt, auf insgesamt 29 Holzplatten aufgezogen und verglast, gehört der Papyrus fortan zu den wichtigsten Objekten der Universität Leipzig. Zum Schutz vorm Bombenkrieg im Zweiten Weltkrieg wird er 1944 ins Rochlitzer Schloss gebracht. Erst nach Kriegsende kehrt der Papyrus, allerdings nicht mehr vollständig, nach Leipzig zurück. Doch dann die Sensation: Zehn Jahre später taucht ein Teil der verschollenen Abschnitte beim Abriss der Hundehütte fast ohne Schäden wieder auf. Dennoch. Zwölf Abschnitte bleiben bis heute verschollen.

Aller Anfang ist schwer – Gerangel um die Sängerempore

Es ist 9 Uhr morgens. Die Sonne scheint stimmungsvoll durch die Fenster der Rochlitzer Schlosskapelle. Wie ein sanfter Vorhang bilden sich herabsinkende Staubflocken in ihren Strahlen ab. Staubflocken, die sich wie ein Schleier langsam, aber sicher auf die wohl trapierten Sammlungsstücke des Rochlitzer Geschichtsvereins legen. Staub auf den Fahnen, den Helmbarten, den Epitaphen, den Bauernschränken und Schaukästen, die im Erdgeschoss auf Besucher warten.  

Hoch oben auf der Brüstung der Sängerempore hängt ein schwerer Perserteppich halb herab. Auf ihn prasseln unentwegt die Schläge des Teppichklopfers hernieder, bis der letzte Staub aus ihm weicht. Blasphemie, denkt jeder Museologe. Doch das ist die Situation, mit der sich Prof. Clemens Pfau, Begründer des Schlossmuseums, in den ersten Jahren herumschlagen muss.

Pfau hatte nach langem Ringen im Frühling 1893 endlich die Erlaubnis des Oberamtsrichters, die Schlosskapelle für die Sammlung des im Jahr zuvor gegründeten Rochlitzer Geschichtsvereins nutzen zu können. Unter Prämissen! Die zugehörige Sängerempore sollte in seiner Obhut bleiben. Als Teil seiner Amtswohnung war sie unabdingbar. Wo sonst sollte das Dienstmädchen die Teppiche ausklopfen?!

 


Letzte Änderung: 25.08.2020