In der DDR war so manches Bückware – also Mangelware. Dazu zählte auch die Modezeitschrift SIBYLLE – die wichtigste Zeitschrift für Mode und Kultur im Ostteil Deutschlands. In der Regel war die Auflage von 200.000 Stück im Nu vergriffen. Jedes Heft ging durch mehrere Hände. Zu den Markenzeichen gehörten die hohe Qualität der Fotos und Artikel sowie Schnittmuster zum Selbernähen. 1966 nutzte der bekannte Fotograf Günter Rössler das besondere Ambiente von Schloss und Park Weesenstein für die Präsentation sommerlicher Festkleider.
Eine außergewöhnliche Frauenzeitschrift?
Die Frauenzeitschrift SIBYLLE wurde 1956 das erste Mal vom Modeinstitut Berlin im Verlag für die Frau herausgegeben. Sie erschien aller zwei Monate, also sechsmal im Jahr. Gründerin und Namensgeberin war die Kostümbildnerin und Modejournalistin Sibylle Gerstner. Für das anspruchsvolle Modeheft interessierte sich die sozialistische Führung der DDR zunächst nur wenig. So gab es kaum Vorgaben. Der abgebildete neue Frauentyp passte in die Gesellschaftsphilosophie der modebewussten Frau, die Beruf und Familie unter einen Hut brachte. Doch die präsentierte Mode hatte mit der realsozialistischen Wirklichkeit nur wenig zu tun. So zeigte diese keine praktische Alltagskleidung für die Frau an der Werkbank, sondern Individualistinnen in ausgefallenen Kleidern.
Die Redakteure und Redakteurinnen kümmerten sich um alles: von den extravaganten Entwürfen und Schneiderarbeiten bis hin zu den Fotos, dem Make-up und den Frisuren der Fotomodelle und den Texten. Die „Ost-Vogue“ zeichnete sich auch durch ansprechende redaktionelle Beiträge aus. Dafür wurde auf frauenzeitschrifttypische Ratgeber verzichtet. Einige Werbeanzeigen, zum Beispiel für Kosmetik oder Waschmittel, füllten die Seiten und unterstützten die Finanzierung.
Warum war die SYBILLE so erfolgreich?
Modische Kleidung war in der DDR nicht so leicht zu kaufen. In der SIBYLLE gab es jahreszeitlich angepasste Schnittmuster. Auch die Zeitschriften „Modische Maschen“ und „Handarbeit“ aus dem Verlag der Frau waren beliebt, denn sie gaben ebenfalls praktische Anleitungen zum Selbermachen.
Die SIBYLLE blieb ein rares ästhetisches Nischenangebot. Nach der politischen Wende wurde versucht, die durch die Wiedervereinigung angeschlagene Zeitschrift zu retten. Doch 1995 musste ihr Erscheinen aus finanziellen Gründen endgültig eingestellt werden.
Der Fotograf Günter Rössler
Günter Rössler absolvierte zunächst eine Fotografenlehre und studierte von 1947 bis 1950 Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Danach war er freiberuflich als Mode- und Werbefotograf tätig. Er spezialisierte sich auf Aktfotografie. Damit war er einer der Ersten dieses Genres in der DDR.
Die SYBILLE in Weesenstein
1966 kamen die Mannequins mit dem Fotografen Günter Rössler und dem Team der SIBYLLE nach Weesenstein. Fotografiert wurden festliche Sommerkleider im Park und im Schloss. Zuvor wurde in der Zeitschrift in einem Aufsatz „Reise in Bekanntes & Unbekanntes. Burgen“ in Bild und Text recht ausführlich über die Geschichte von Kriebstein und Weesenstein informiert. Dem Artikel merkt man die realsozialistische Färbung an. Unter anderem wird gleich am Anfang Karl Marx zitiert: „Offensichtlich ist die tiefe und gründliche Überwindung einer Vergangenheit die Voraussetzung dafür, um heiter von ihr Abschied zu nehmen“. Immerhin wird bekannt: „Jedoch in der Hochzeit des Mittelalters waren die Burgen neben den Klöstern häufig Zentren des geistigen Fortschritts.“
Insgesamt werden sieben Modelle präsentiert, in Bunt und in Schwarz-Weiß: vom jugendlichen Abendkleid für den Sommernachtsball über ein Spitzenkostüm bis zum Tanzkleid aus nachtblauer Kunstseide. In den Innenräumen wurde vermutlich wegen der besseren Beleuchtungsverhältnisse nachts fotografiert. Als Kulisse dienten das Salettchen, der Ledertapetensaal und das Schlosstreppenhaus. Über die organisatorischen Absprachen mit der Schlossverwaltung ist leider nichts bekannt.
Modetrends kommen immer wieder! Die in Weesenstein gezeigten Kleider und Schuhe könnten heute glatt getragen werden.
Dr. Birgit Finger ist Museologin im Schloss Weesenstein. Bei der Veranstaltung „Lebendiges Schloss Weesenstein“ trägt sie das Hochzeitskleid ihrer Mutter aus dem Jahr 1968.